in fußballland : Ein Abend in der Parallelgesellschaft
Christoph Biermann über seinen Besuch der Church of Werder in Köln samt anschließender Taufe
Christoph Biermann, 43, liebt Fußball und schreibt darüber
Mein Abend in der Parallelgesellschaft war auch deshalb schön, weil mir das andere Glaubensbekenntnis nicht aufgedrängt wurde. Ich durfte an der Kommunion teilhaben und brauchte trotz der großen Mobilisierung der Gemeindemitglieder erst kurz vor Beginn zu kommen. Mein Freund Günther, erwartungsfroh in seine heiligen Farben gehüllt, hatte mir eine Stunde lang einen Platz freigehalten. Er war erst wenige Tage zuvor auf das Kirchlein im Herzen des Studentenviertels von Köln gestoßen. Beseelt rief er mich nach seinem ersten Besuch an, und als ich dort ankam, konnte ich verstehen, dass es für ihn wie eine Erscheinung sein musste.
Grün-Weiß waren die Farben der Fahnen an den Wänden, in den Fenstern und unter der Decke. Grün-Weiß waren die Schals und Mützen jener, die dem Gemeinderaum zustrebten. Sie trugen Trikots, auf deren Rücken „Micoud“ oder „Klasnic“ zu lesen war. Sie trugen ein „W“ über dem Herzen und wohl auch darin, denn es steht für Werder Bremen. Über den Klub, der 300 Kilometer von dieser Kneipe entfernt zu Hause ist, ging kaum jemandem etwas, der hier vor der Großbildleinwand darauf hoffte, dass im fernen Valencia noch der eine Punkt zum Erreichen der nächsten Runde in der Champions League geholt würde. Man konnte die Aufregung im überfüllten Raum spüren, denn auch für die in der näheren Vergangenheit vom Erfolg so verwöhnten Werder-Fans war dieses Spiel besonders. Außerdem ist das gemeinsame Glaubensbekenntnis in der Diaspora besonders intensiv, und hier war es auch noch gut vorbereitet, denn seit mehr als einem Jahr machten die Exil-Bremer andere mit großem Erfolg auf sich aufmerksam.
Übrigens werden die technischen Veränderungen bei der Entwicklung des Fußballs deutlich unterschätzt. So wäre der Europapokal in den Fünfzigerjahren ohne die Ausweitung des internationalen Flugverkehrs so wenig möglich gewesen wie ein Erfolg im Fernsehen, hätte es nicht immer stärkeres Flutlicht gegeben. Auch die zeitgenössische Pflege des Fan-Lebens in Fußballkneipen wird erst durch Videobeamer richtig schön und durch ein Premiere-Programm lebbar, bei dem man jedes einzelne Bundesligaspiel und jede Partie in der Champions League schauen kann. Wahrscheinlich ist die Church of Werder in Köln daher nicht einmal exotisch. In Berlin gibt es einige solcher Fußballexilanten-Kneipen und wahrscheinlich längst Treffpunkte von Rostock-Fans in der Pfalz oder eine ZSKA-Moskau-Kneipe in Frankfurt.
In der grün-weißen Parallelgesellschaft war auch der beste Zwischenruf der letzten Zeit zu hören. Offensichtlich gehörte es zu den Finessen des spanischen Fernsehregisseurs, kurze Serien von Gesichtern der Spieler oder Trainer in Zeitlupe zwischenzuschneiden: ungläubige Blicke, weit aufgerissene Münder, Blicke ins Leere. „Scheiß Emotionen“, rief einer der Micouds laut dazwischen und knallte wütend mit der Hand auf den Tisch.
Wobei die Emotionen ansonsten super waren, weil sich das Publikum vor einer Leinwand genauso symbiotisch mit dem Spiel verbinden kann wie im Stadion. Jedenfalls dann, wenn genug gemeinsame Konzentration aufs Spiel vorhanden ist und nicht nur flüchtiges Zuschauen. An diesem Abend verstand ich auch, warum Marcel Reif seinen Zuhörern mitunter auf die Nerven geht. Da er mit dem Spiel nicht minder verbunden ist und auf seinem Reporterplatz sofort spürt, wie sich die Kräfteverhältnisse auf dem Platz verschieben, sagt er das auch. So saßen die Bremer Fans in ihrer Kölner Kneipe und dachten bebend: „Werder macht zu wenig.“ Während ihnen das durch den Sinn ging, sagte Reif: „Werder investiert jetzt nicht mehr genug in das Spiel.“ Und mein Hintermann maulte über den Überbringer der schlechten Nachricht: „Halt die Fresse, du bist doch für Valencia!“
Wobei Reif letztlich die gute Nachricht überbrachte, dass Werder siegte, und beim Abpfiff sauste der Korken aus einer Sektflasche, deren Inhalt durch die Kneipe verspritzt wurde. Man könnte das jetzt noch als Taufe beschreiben, aber es stank einfach nur.