in fußballland : Glückliches Retro-Phänomen
CHRISTOPH BIERMANN mag den Nürnberger Fußballpräsidenten Michael A. Roth NICHT nicht peinlich finden
Christoph Biermann (46) liebt Fußball und schreibt darüber
Als ich an jenem Sonntagnachmittag vor sechs Jahren auf der Haupttribüne des Stadions Niederrhein in Oberhausen saß, gewann der damals gerade mal wieder in der Zweiten Liga kickende 1. FC Nürnberg sein Zweitligaspiel beim gastgebenden SC Rot-Weiß, und damit stand der bislang vorletzte Bundesligaaufstieg des Clubs so gut wie fest. Angesichts des überschwappenden Jubels der Nürnberger Fans, die im Stadion die Mehrheit der Besucher gestellt hatten, übernahmen erst Trainer Klaus Augenthaler und dann Vereinspräsident Michael A. Roth das Stadionmikrofon und baten um Mäßigung. „Vielleicht sehen wir uns in der ein oder anderen Raststätte wieder“, rief Augenthaler.
In besonderer Erinnerung ist mir das Spiel aber vor allem geblieben, weil ich während der 90 Minuten auf der Tribüne direkt vor dem Vorstand des 1. FC Nürnberg gesessen hatte. Man könnte vermuten, dass ich mich dort neugierig angeschlichen hätte, aber das stimmt nicht. Weil es in Oberhausen keine Ehrentribüne oder VIP-Plätze gab, hatten sich die Herren kurz vor Spielbeginn einfach hinter mich gesetzt, und ich konnte zuhören, worüber Roth und seine Leute redeten. Obwohl ich mich an kein Detail mehr erinnere, weiß ich noch ganz genau, dass es wenig mit dem zu tun hatte, was da unten auf dem Rasen gekickt wurde. Um es vorsichtig zu formulieren: Mit analytischem Blick schauten die Herren nicht zu.
Ich wurde daran erinnert, als Michael A. Roth nach dem Nürnberger Sieg im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Frankfurt jubelnd zu seinen Spielern auf den Platz geeilt war und sich vor der Fankurve von ihnen in die Luft werfen ließ. Eine Boulevardzeitung hatte daraufhin getitelt: „Nürnberg ist im Finale – und hat den peinlichsten Präsidenten.“ Wahrscheinlich würde ihnen der Mitschnitt des Tribünengesprächs zu Oberhausen eine Bestätigung dieser Behauptung gelten, doch sei Michael A. Roth hier verteidigt. Und das nicht nur, weil er aufgrund seiner geringen Körpergröße sowieso ein beliebtes Opfer des Spottes ist, der zumeist den Umweg nimmt, ihn als Gernegroß zu denunzieren. Das Initial „A.“ im Namen gilt da als Beleg wie auch das leicht unvorteilhaftes Styling Roths, der mit seinem weißen Bart etwas nussknackerhaft wirkt. Außerdem ist er auch noch Mogul einer Branche, die eine grundkomische Qualität hat. Wobei es eine interessante Frage für Sozialpsychologen ist, warum die Menschen sofort zu grinsen beginnen, wenn von Teppichen und Bodenbelägen die Rede ist. Da ist es wohl auch kein Wunder, dass eine der berühmtesten komischen Figuren der jüngeren deutschen Literatur, Hans Duschke im Eckhard Henscheids Roman „Die Vollidioten“, gerade in einem der Teppichläden von Roth arbeitet, der im Buch ANO statt ARO genannt wird.
Hätte Roth ein Stahlwerk, wäre für ihn vieles leichter. Aber peinlich ist er nicht, oder: nicht mehr. Es ist fast schon ein Retro-Phänomen, dass es in der Bundesliga noch einen gibt, der nach schönen Siegen in die Umkleidekabine kommt und einen großen Schein in die Mannschaftskasse steckt, worauf die Spieler ein dreifaches Hipphipphurra auf ihn anstimmen. Ob es in Oberhausen auch so gewesen war? In solchen Momenten unterscheidet sich Profifußball nicht von dem in der Bezirksliga, wo Männer mit besser gefüllten Portemonnaies nach einem Erfolg Freibier für alle spendieren.
15 Jahre lang ist Roth schon Präsident des 1. FC Nürnberg und Geld hat er mit dem Club seines Herzens nicht gemacht, bestenfalls hat er nicht allzu viel verloren. Er mag sonst ein harter Geschäftsmann sein, aber beim Fußball ist er Fan und lässt sich seine Gefühle was kosten. Heute ist so was fast schon die Ausnahme, da bestimmen eher Leute, die zwar keine Fans sind, aber harte Geschäftsleute. Roth indes darf man glauben, dass der Einzug ins Pokalfinale ihn für viele schwere und bittere Stunden entschädigt hat. Als der oberste Fan des 1. FC Nürnberg von den Spielern auf die Schultern gehoben und in die Luft geworfen wurde, war er der glücklichste Mensch im Stadion und peinlich war daran gar nichts.