piwik no script img

Archiv-Artikel

im gericht Gewagter Freundesdienst: Ausweis an stadtbekannten Straftäter verliehen

Vedat Y. wollte seinem Freund, dem Intensivtäter Nidal R., einen Gefallen tun: Im Februar 2007 begleitete er den 24-Jährigen auf den Abschnitt 55 in die Rollbergstraße, wo sich der damals von der Haft verschonte Nidal R. zweimal in der Woche melden sollte. Die beiden Männer klingelten, die Tür öffnete mit einem Summer. Oben angekommen legte Y. schweigend den Ausweis von R. auf den Tresen. Damit habe der 26-Jährige Ausweispapiere missbraucht, urteilte am Dienstag das Berliner Landgericht und verurteilte Y. zu einer Haftstrafe von drei Monaten auf Bewährung.

Nicht einmal vier Monate währte die Freiheit für den Intensivtäter Nidal R. Es war die längste Zeit, die Berlins bekanntester Straftäter außerhalb des Gefängnisses verbrachte, seitdem er strafmündig geworden ist. Doch zwischen November 2006 bis Februar 2007 wurde er so häufig rückfällig, dass erneut ein Haftbefehl für ihn ausgeschrieben wurde. Die Polizei wollte ihm diesen auf dem Abschnitt 55 präsentieren, wo er sich am 8. Februar 2007 melden musste.

Doch R. ahnte schon vorher, was ihm blühte. Deshalb rief er seinen Freund Vedat an und bat ihn, mit auf die Wache zu kommen. Er wollte mit seiner Hilfe herausfinden, ob die Polizei ihn festnehmen will, urteilte das Gericht. Als R. seine Befürchtungen bestätigt sah, „machte er einen Schuh“, so ein Polizeibeamter vor Gericht. Weil aber in diesem Augenblick gerade ein anderer Beamter zur Wache hereinkam, misslang die Flucht von Nidal R.

Sein Freund, der angeklagte Vedat Y., kann an seinem Tun nichts Strafbares erkennen: Es sei Nidal an dem Tag ziemlich schlecht gegangen, deshalb habe er ihn begleitet. Vor der Wache habe ihm Nidal seinen Ausweis und ein rezeptpflichtiges Medikament gegeben. Er habe niemals behauptet, R. zu sein, sagt Y. Überdies habe der Polizeibeamte, dem er den Ausweis übergab, R. sofort erkannt. Dies bestätigte der Beamte im Prozess.

Der Verteidiger sprach von einem konstruierten Tatvorwurf und forderte Freispruch. Das Gericht kam zwar zu einer anderen Auffassung, ging aber milde mit dem vorbestraften Angeklagten um, der vor 18 Monaten aus dem Gefängnis entlassen wurde und seit acht Monaten in einem Restaurant angestellt ist.

Mit der Verurteilung zur Hälfte der vom Staatsanwalt geforderten sechsmonatigen Haft berücksichtigte das Gericht auch die gute soziale Prognose von Y. und die erkennbare Abkehr vom kriminellen Milieu. Auch den Kontakt zu R. hatte Y. bereits im Dezember 2006 abgebrochen, als er erkannte, dass dieser sich nicht von den gewohnten Verhaltensmustern lösen wolle.

Der Prozess gegen R. läuft noch am Landgericht: Zur Zeit wird ein Gutachten über den Intensivtäter erstellt, um zu klären, ob er nach Verbüßung seiner Haft in Sicherungsverwahrung kommen kann. Das bedeutet „Gefängnis für immer“. UTA FALCK