hugo chávez’ abgang: Ende eines Undefinierbaren
Venezuelas Präsident Hugo Chávez war ein Phänomen und wie viele Phänomene schwer zu interpretieren. Ein Exmilitär, Populist und autokratischer Caudillo einerseits, zog Chávez sich die Kritik des bürgerlichen Lagers zu, das durch Leute wie ihn die Demokratie in Lateinamerika erneut gefährdet sah. Diese Demokratie allerdings brachte ihn nach einem missglückten Putschversuch zehn Jahre zuvor schließlich selbst durch freie Wahlen an die Macht – gerade weil sie durch die Korruption und die Vetternwirtschaft der traditionellen Parteienherrschaft gründlich in Misskredit geraten war.
Kommentar von BERND PICKERT
Viele Linke außerhalb Venezuelas aber ließen sich trotzdem faszinieren vom charismatischen Chávez, der sich nicht scheute, Lateinamerikas Hegemonialmacht USA durch internationale Kontakte zu „Schurkenstaaten“ zu provozieren. Er protestierte gegen den Afghanistankrieg, rief dazu auf, „Terror nicht mit noch mehr Terror“ zu beantworten. Seine Vizepräsidentin erklärte gar, der „Terrorismus der Unterdrückten“ sei „ein perverses Ergebnis der Herrschaft der weißen angelsächsischen Protestanten“. Das sind Positionen, die bei der internationalen Linken immer ankommen.
Doch die Opposition Chávez’ gegen Washington sollte nicht zur falschen Solidarität mit dem Caudillo führen. Tatsächlich ist von den sozialrevolutionären Ankündigungen des Präsidenten außer einem absoluten Machtanspruch nicht viel übrig geblieben. Die Armen sind arm geblieben, die Reichen reich, und Chávez selbst ist auch etwas reicher geworden.
Sicher wäre es besser gewesen, der Präsident hätte von sich aus auf die Massenproteste reagiert. Die Furcht aber, mit Chavez’ durch das Militär erzwungenem Abgang stünde eine neue Ära der Militärherrschaft bevor, scheint derzeit unbegründet. Denn es war keine kleine Minderheitsbewegung der Oligarchie, die einen linken, vom Volk unterstützten Präsidenten wegputschte. Vielmehr weigerte sich das Militär, im Auftrag von Chávez einen Protest zu unterdrücken, der sich längst durch alle gesellschaftlichen Schichten zog, und wandte sich stattdessen gegen ihn selbst.
Wenn tatsächlich in wenigen Monaten faire Neuwahlen durchgeführt werden, dann hat Venezuelas Militär ein Reifezeugnis abgelegt. Für Chávez gilt das nicht: Wer seine Schlägertrupps auf unbewaffnete Demonstranten scharf schießen lässt, der hat das Recht auf Bewunderung als neues politisches Phänomen gründlich verspielt.
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