homeboys, kreuzberg etc.: Der türkische Rapper Boe B. ist gestorben
ISLAMIC FORCE
Ein bisschen Kanak-Kültür gehört inzwischen ins Spartenprogramm der Berliner Republik. Aber nicht jeder, der zum Casting antritt, hat eine reelle Chance, die Bühne der Repräsentation zu betreten – der Mainstream selektiert immer noch ziemlich genau, wer eine Bereicherung für Germany ist und wer nicht.
Als Islamic Force Ende der 80er-Jahre den Song „Istanbul My Melody“ veröffentlichten, wollten Boe B. und DJ Derezon in erster Linie sich und ihren Homies eine Stimme geben. In einer Zeit, wo HipHop in D noch nicht angesagt war und vor allem von jungen Kanaken vorangetrieben wurde, brachten DJ Derezon & Boe B. erstmals eine Rap-Scheibe mit türkischem Sample auf den Markt – das war cool und verschaffte der Band Respekt in der Community.
Ich vergesse das Funkeln in den Augen eines Frankfurter DJs nicht, der mir vor Jahren aus seiner Sammlung „Istanbul My Melody“ zeigte. Auch die EP „The Whole World is Your Home“ von 1993 gehört zu den Platten, die man ungern verleiht, ganz einfach weil man Angst hat, ein Juwel könnte zerkratzt werden.
Später kamen Nellie und Killa Hakan dazu, doch da wurde es schon ruhiger um Islamic Force. Erst 1997 erschien mit „Mesaj“ ihr erstes Album. Über das mediale Interesse konnte sich die Band nicht beklagen: Unter anderem produzierte der WDR eine 45-minütige Dokumentation über Islamic Force. Die Konstellation HipHop, „ausländische Jugendliche“ und Kreuzberg reichte vielen als Vorlage für „Geschichten aus dem Getto“, doch für Islamic Force war der Bezug auf ihren Bezirk immer ernst und wichtig und keineswegs nur Dekoration für Turko-Märchen.
In ihren Songs wählten sie die direkte Ansprache und kamen oft ziemlich moralisch daher, sie idealisierten Kreuzberg oder warnten vor Drogen. Das fanden Journalisten spannend, die sich im Zuge des Kanak-Hypes auf die Suche nach Migrantenkids aus der Kulturszene machten, doch die deutsche Musikindustrie interessiert das nicht: Hier gelten andere Tarife, die Islamic Force nicht kannten oder aber nicht lernen wollten.
Schwerwiegender war aber, dass sich auch ihre Hood veränderte. Kreuzberger Kanaken entdeckten Pop und House, und die Ideale des „real“ HipHop, die Mystifikation Kreuzbergs und des toughen Alltags interessierte die Szene weniger. Es wurden sogar Fragen nach der Glaubwürdigkeit der Band laut, weil manches Bandmitglied mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Irgendwann wurden Islamic Force ihre Kleider zu eng, weil ihnen die Grundlage von dem, was sie repräsentierten, wegbrach.
Als sich die Band auflöste und Boe B. nicht mehr auf der Bühne war, machten erste Gerüchte über seinen gesundheitlichen Zustand die Runde, und mancher Trendy-Kanak aus Mitte konnte sich abfällige und miese Bemerkungen nicht verkneifen. Boe B. ist vor zehn Tagen gestorben, wie jetzt bekannt wurde.
Koç, nur içinde yat!
IMRAN AYATA
Imran Ayata ist Kanak-Autor und lebt in Frankfurt am Main
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