hörhilfe: Heavy Schmus: Marylin Manson packt aus
In Opas Keller
Nicht dass man darauf gewartet hätte. Stars verschonen die Welt ohnehin zu selten mit ihrem Bekenntnisdrang, der schnell laienpredigerhafte Züge trägt: Wie ich es geschafft habe – trotz des trinkenden Daddys, der tristen Provinz, der Drogen und Sexexzesse, der Neider, Feinde, Kritiker. Aber wo nun die Autobiografie des gerade mal 32-jährigen, crossdressenden Schwermetallers Marilyn Manson schon mal erschienen ist und irritierenderweise „The Long Hard Road Out Of (statt: Into) Hell“ heißt, soll sie sicher auch böse laut gehört werden. Mit zart hessischer Färbung liest wohltemperiert Felix Flaucher den heavy Schmus, seines Zeichens Mitglied einer Gothic-Wave-Band mit dem schönen Namen Silke Bischoff.
Im eigenen Leben hat Marylin Manson, das sollte gerechterweise vorausgeschickt werden, bislang keine Rolle gespielt. Allerdings stand man neulich im Supermarkt mit einem MM-Lookalike in der Kassenschlange. Ein eigentlich hübscher Junge, das schwarz gefärbte Haar schlapp gen Hölle gesträhnt. Er legte Bananen und Räuchertofu auf das Band. Dass MM eine blutjunge Heavy-Metal-Ikone ist, die in Liveperformances und auf Video mit Geschlechterrollen, christlichen, satanistischen, pornografischen Symbolen spielt, kurz: alle erdenklichen Tabus noch mal und bis zum Erbrechen bricht, hat man so nebenher natürlich mitbekommen. MM: eine barocke Verneigung vor Marylin Monroe und Charles Manson, den Licht- und Schattengestalten Amerikas, und ein renitenter Nachfolger von Mamma Madonna Ciccone, die das mit den Ideen absahnenden Inszenierungen ja fabelhaft vorgemacht hat.
Der lange Weg aus der Hölle beginnt absolut klassisch und vulgärpsychologisch in der 80er-Jahre-Jugend Brian Warners, so MMs bürgerlicher Name, und zwar im Haus seines Großvaters in Canton, Ohio. Liebevoll schildert der Sohn eines Vietnampiloten, was er dort in den Kellerräumen der Anständigkeit entdeckt: von ranziger Vaseline verkrustete Dildos, sodomistische Pornos, gebrauchte Damenunterwäsche und nicht zuletzt einen sabbernden, wichsenden Opa. Zugleich erfährt er auf der Heritage Christian School in allen Einzelheiten, dass die Apokalypse vor der Tür steht. In diesem Klima der Doppelmoral entwickelt Brian die üblichen kleinkriminellen Energien: Er ballert mit dem Luftgewehr herum, entdeckt die Rock- und Metalllegenden von Black Sabbath bis Judas Priest, testet sich durchs lokale Drogenangebot, wohnt schwarzen Messen bei und gründet schließlich in Florida eine Band mit der hoch moralischen Mission, Amerika den Zerrspiegel seiner eigenen Verlogenheit vor die Nase zu halten.
Weil aber Brian Warner auf der Heritage Christian School nicht nur erfahren hat, dass „We are the champions“, rückwärts gehört, eine versteckte Anrufung des Leibhaftigen enthält, sondern durchaus auch das Schreiben gelernt hat, sind seine Erinnerungen an ungezählte Trips, Sex- und Kotzexzesse, Offenbarungsträume und Bühnenperformances dreckig schillernde, pointierte Epsioden aus dem ausgespieenen Amerika. Unterbrochen von ein paar gemeinen Silke-Bischoff-Takten erzählt er die Dialektik von Absturz und Läuterung, den Weg zur Erkenntnis: „Ich war ein Rock-’n’-Roll-Klischee, bevor ich es überhaupt geschafft hatte.“ Das Klischee bleibt, aber Warner schafft es. Nach kaltem Entzug und viel Arbeit bringt er den Megaseller „Antichrist Superstar“ heraus.
Der Haken: Leider hat Warner keine besonders originelle Lösung für seine Selbstdeutung gefunden. Die ganze Geschichte ist eine Entmystifikation, durch alle Abgründe ein Schritt zurück auf den American Way of Life. Immer wieder kehrt sie den pickligen, geltungssüchtigen Teenager hervor, der triumphierend auf die von ihm gestopfte Marktlücke weist. Das können seine Fans nicht wissen wollen. Schon gar nicht, dass ohne Opas Keller aus Brian Warner bloß ein verheirateter Bankfilialleiter in Canton, Ohio geworden wäre. EVA BEHRENDT
Marylin Manson: „The Long Hard Road Out Of Hell“, 3 CDs, 24,50 €
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