piwik no script img

hochwasserDie Schweinezons

Ungutes Gefühl

Erst war’s so heiß, dass man nur zu Hause auf dem Bett rumliegen konnte. Fenster auf, Jalousien runter. Dazu Apfelschorle und die Schwimm-EM im Fernsehen. Die Bilder von der niedlichen kleinen Dicken, die laut heulend im kühlen Nass herumplanschte, konnten wenigstens ein bisschen erfrischen. Dann kam der Regen und mit ihm die ersten Horrormeldungen: Der Kaiserschmarrn in Gefahr! Bald darauf: Der Kaiserschmarrn überspült! Schließlich: Der Kaiserschmarrn weggeschwemmt! Und stündlich überschlugen sich die Ereignisse: Bei Dingsburgl waren zwei kleine Braune sowie ein kompletter Topfenpalatschinken mitgerissen worden und in Brunzbach/Bölz versank die gesamte Paradeiserernte.

Später erreichte das Unwetter Deutschland. Im bayerischen Tuntenhausen waren mindestens zwei Millionen freistehende Halbe Haxenbräu durch den Dauerregen komplett unbrauchbar geworden. Viel schlimmer noch: Einer „Brennpunkt“-Sendung konnte ich entnehmen, dass die Schweinezons (Orto- und Geografie unklar – im Atlas nicht gefunden/Anm. d. Aut.) über die Ufer getreten war. Die Schweinezonz! Jetzt war es endgültig so weit! Die Lage war ernst – es war klar, die Flut würde früher oder später auch Berlin erreichen. Schließlich regnete es hier bereits.

Nie werde ich den Augenblick vorgestern Morgen vergessen. Ich stand auf, ging in die Küche, um Tee zu machen, und kurz darauf lag ich bis zum Hals im Wasser. „Die Schweinzonts!“ dachte ich im ersten Moment vor Schrecken starr. Regen peitschte mir ins Gesicht. Weiter hinten kämpfte „Franzi“, wie ich sie aus Verehrung für die „fette Robbe“ (BZ / gemein!) genannt hatte, verzweifelt gegen die Wogen. Ich versuchte die „tierische Tonne“ (noch gemeiner!) wieder aufzurichten, doch die „Speckkuh“ (richtig doll gemein!) kenterte ständig aufs Neue. Ein glatter Fehlkauf – selbst wenn ich berücksichtigte, dass sie ein Sonderangebot gewesen war: Eine Gummiente, die nicht schwimmt, gehört in den Müll und nicht in die Badewanne! Solche Ärgernisse empfinde ich durchaus als Katastrophe für das heimische Wohlfühlklima.

Erneut schwappte ein schwerer Schauer durch das Westfenster zu mir in die Wanne herein. Ich drückte Franzi und sie quiekte. Dann warf ich das unnütze Badeutensil über den Rand und griff seufzend zur Zeitung: Das Blatt lief fast über vor Wasserstandsmeldungen. Bis jetzt hatte ich sicherlich noch Glück gehabt: Ich wohne im vierten Stock, und bevor das über die Ufer getretene Columbiabad meine Wohnung versaut hätte, wäre ich längst an Altersschwäche gestorben. Nur vor der Schweinezontz musste ich mich in Acht nehmen – da hatte ich ein ungutes Gefühl. Die kannte ich nicht – die war bestimmt unberechenbar!

Das Wasser schäumte. Wahrscheinlich war die gesamte Linzer Chemieindustrie inzwischen über die Kanalisation hierher gelangt. Oder lag es an diesem billigen Schaumbad mit Jojoba-Öl? Man wusste eigentlich nie recht, was im nächsten Moment passieren würde – das hatte ich mit den anderen Hochwasseropfern gemein. ULI HANNEMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen