piwik no script img

heute in hamburg„Das NS-Regime hatte anfangs koloniale Pläne“

Foto: S. Lewerenz/KZ Gedenkstätte Neuengamme

Oliver von Wrochem, Jg. 1968, ist seit 2012 stellvertretender Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Interview Petra Schellen

taz: Herr von Wrochem, war der Kolonialismus Voraussetzung für das NS-Regime?

Oliver von Wrochem: Neben dem Antisemitismus, Antiziganismus und Antislawismus war der Kolonialismus in der Tat eine starke Wurzel des NS-Rassismus. Die Erfahrungen des Kolonialismus waren wichtige Voraussetzung für den kolonialen Rassismus des NS-Regimes.

Wie äußerte er sich?

Das Dritte Reich hat eine Zeitlang das Ziel verfolgt, die Kolonien, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg abgeben musste, wiederzugewinnen. Als sie feststellten, dass das nicht so einfach war, haben sie auf die Expansion in den Osten gesetzt.

Die 1934 aufgestellten umstrittenen „Askari-Reliefs“ in Jenfeld sind Ausdruck dieser kolonialen Haltung.

Sie sind eher Ausdruck der Nazi-Ideologie. Da geht es um Askaris – Afrikaner, die während des Ersten Weltkriegs in den Kolonien für die Deutschen gekämpft hatten. In den Askari-Reliefs haben die Nazis die Vorstellung, dass ihnen diese afrikanischen Krieger treu ergeben waren, instrumentalisiert, um zu zeigen, dass sie fähig sind zu kolonisieren.

Das Unterrichtsmaterial zur Verflechtung von Kolonialismus und NS-Regime, das Sie heute präsentieren, enthält auch exemplarische Biografien.

Ja. Anton de Kom zum Beispiel kam ursprünglich aus der niederländischen Kolonie Surinam. Dort war er im antikolonialen Widerstand aktiv und wurde in die Niederlande ausgewiesen. Als die Nazis die Niederlande besetzten, leistete er erneut Widerstand und wurde nach Sandbostel, ein Auffanglager des KZ Neuengamme, deportiert, wo er starb.

Warum haben Sie das Lehrmaterial gerade jetzt erstellt?

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat sich – gemeinsam mit der Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe“ und der Uni Augsburg – auf eine Ausschreibung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beworben. Dabei setzt unser Material nicht nur Formen des Rassismus in Beziehung, sondern schaut auch nach Kontinuitäten bis heute.

Präsentation von Materialien für die Bildungsarbeit über „Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus“: 18 Uhr, Lichthof der Stabi (Eingang Ecke Edmund-Siemers-Allee/Grindelallee)

Ist es das erste Lehrmaterial zu dem Thema?

Soweit ich weiß: Ja.

Wird Ihr Material künftig im Geschichts­unterricht eingesetzt?

Das wäre schön, aber zunächst haben wir es als Online-Plattform entwickelt. Wir planen aber, eine Publikation daraus zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen