heute in bremen: „Es braucht geschützte Räume“
Eva Senghaas-Knobloch, 77, ist emeritierte Professorin für Arbeitswissenschaft an der Uni Bremen.
Interview Dominika Vetter
taz: Frau Senghaas-Knobloch, vor welchen Herausforderungen stehen Arbeitnehmer*innen heute am Arbeitsplatz?
Eva Senghaas-Knobloch: Es gibt neue Management-Anforderungen. Die Beschäftigten sollen deutlich mehr mitdenken und mitverantworten. Sie werden mit der Frage konfrontiert: Was bedeutet ihr Tun für den Erfolg des Unternehmens? Außerdem haben sich neue Beschäftigungsformen entwickelt. Es gibt heute viel mehr Werkverträge, Teilzeitarbeit oder Alleinselbstständigkeit. Besonders unter Druck geraten Menschen mit viel Interaktionsarbeit, also Verständigungsaufgaben, beispielsweise in der Pflege; sie passt nicht zur Vorgabe der Zeitökonomie: Zeit einzusparen!
Welche Rolle spielt Erfahrungswissen in der heutigen Arbeitswelt?
Wir leben in einer Welt, in der die Digitalisierung alles durchdringt. Damit geht eine Entkonkretisierung von Tätigkeiten einher. Eine erfahrene Pflegekraft kann beispielsweise an der Körpersprache eines Patienten erkennen, was zu tun ist. Solches Erfahrungswissen wird durch die Digitalisierung zurückgedrängt.
Wann ist Selbstverantwortung problematisch für Arbeitnehmer*innen?
Dann, wenn man in eine Mühle von Selbstoptimierung gerät und man alles auf die eigene Kappe nehmen muss. Heute haben viel mehr Menschen als früher psychische Probleme. Das sind oft Erschöpfungssymptome durch den Zwang, sich selbst zu optimieren. Ich brauche Rahmenbedingungen, die es erlauben, einen Arbeitsauftrag nicht anzunehmen, wenn er mit den verfügbaren Kapazitäten kollidiert. Es muss Formen der Aushandlung geben, um mit widersprüchlichen Anforderungen umzugehen. Es braucht geschützte Räume, um Probleme offen anzusprechen und zu lösen, damit es nicht zu Selbstüberforderung kommt.
Ihr Buch heißt „Andere Sichtweisen auf Subjektivität“ – was meint hier Subjektivität?
Vortrag und Diskussion: Wohin mit „Leib und Seele“ in der flexiblen neuen Arbeitswelt?: 18 Uhr, Forum Kirche, Hollerallee 75
Die menschlich-persönliche Seite, beispielsweise wie man sich Aufgaben aneignet; das ist zugleich von der sozialen Einbettung der Individuen geprägt. Die menschlich-persönliche Seite wird im Arbeitsleben davon geprägt, wie man an den Aufgaben beteiligt ist.
Was erhoffen Sie sich von der Veranstaltung?
Wir wollen die Ergebnisse unserer Forschung an Interessierte weitergeben. Ich hoffe, dass Engagierte in der betrieblichen Gesundheitsförderung und vonseiten der Gewerkschaften und Betriebsräte mit uns über die zeitgemäßen Kriterien für eine menschengerechte Arbeit in einen Dialog treten.
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