heute in bremen: „Gröpelingen stellt sich gegen Rassismus“
Christiane Gartner, 54, ist Geschäftsführerin des Vereins „Kultur vor Ort“.
Interview Alina Götz
taz: Frau Gartner, was ist in der Pogromnacht in Bremen passiert?
Christiane Gartner: In der Nacht zum 10. November 1938 brach sich die organisierte Gewalt der Nationalsozialisten gegen jüdische Mitbewohner und Institutionen Bahn. Die Synagoge im Schnoor wurde zerstört, fünf Bremer wurden ermordet. Auch im ehemaligen jüdischen Altersheim in Gröpelingen sind die Menschen auf die Straße getrieben und deportiert worden.
Und an die erinnern Sie heute?
Wir kommen zusammen und putzen die Stolpersteine, legen Blumen nieder, zünden Kerzen an und gedenken den Opfern des Nationalsozialismus. Vor allem aber kommen wir ins Gespräch über rechte Hetze und Rassismus und zeigen uns solidarisch mit Betroffenen. Oft bleiben Leute stehen und fragen, was wir da machen. Man merkt, dass Gröpelingen großes Interesse hat, sich gegen Rassismus zu stellen.
Wie erleben Sie hier die Debatte über Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen?
Die führen wir schon lange. Der Stadtteil stellt an sich selbst im Bremer Vergleich hohe Anforderungen an solidarisches Verhalten. Ich erlebe, wie stark er sich dafür macht: wenn Menschen zuwandern und hier Schutz suchen, mit ernsthaften Konzepten und in Begegnungen, in Kitas und Schulen. Natürlich erleben wir hier auch Ausgrenzung und Rassismus. Aber wann immer das geschieht, gibt es eine große Solidarität.
Konkrete Ausgrenzung kann ja auch zu einer vermehrten Solidarität führen.
Gröpelingen erinnert an die November-Pogrome: Treffpunkt an allen Stolpersteinen in Gröpelingen, 17 Uhr, Abschluss am ehemaligen jüdischen Altenheim, Gröpelinger Heerstr. 167
Ja, genau. Zudem erleben wir hier eben tatsächlich auch, wenn Familien darüber verzweifeln, was momentan in Syrien passiert. Oder wenn junge Menschen geflohen sind und versuchen, sich hier einzubringen. Wenn Kinder nach drei Monaten aus der Schule genommen werden, nach sechs Monaten plötzlich wieder da sind und niemand weiß, warum. Das fordert uns heraus.
Glauben Sie, dass dieses Jahr – nicht zuletzt aufgrund aktueller Ereignisse – besonders viele Menschen an der Gedenkveranstaltung teilnehmen?
Ich glaube ja. Es rufen auch mehr Initiativen zur Teilnahme auf. Aber auch letztes Jahr waren wir schon viele; um die hundert. In Gröpelingen wissen wir, dass ein ziviles Miteinander ein zerbrechliches Gut ist.
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