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heute in Bremen„Antisemitismus ist spürbar“

Umgang Was tun gegen einen zunehmenden Antisemitismus, fragt ein Podium im DGB-Haus

Irina Drabkina

33, ist Mitarbeiterin bei der Antidiskriminierungsberatungsstelle ADA. Sie hat transkulturelle Studien studiert und ist Mitglied der jüdischen Gemeinde Bremen.

taz: Frau Drabkina, wann fühlen sich Opfer von Diskriminierung allein gelassen?

Irina Drabkina: Wenn ihre Gefühle nicht ernst genommen werden. Sie sind allein, wenn ihnen jemand sagt, was sie erlebt hätten, sei keine Diskriminierung. Und wenn sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Vielen Opfern von Diskriminierung geht es so.

Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund das Verhalten vom Innensenator Mäurer ein, der nach einer Grabschändung auf dem jüdischen Friedhof in Bremen Hastedt im April sich mit Hinweis auf Nachahmungstäter nicht dazu äußern wollte?

Ich finde es schwierig. Wenn die Diskriminierung bekannt geworden ist und es im Interesse der Behörde ist, sie zu bekämpfen, muss sie diese auch thematisieren. Man muss sensibilisieren für Diskriminierung und darüber aufklären, was es überhaupt ist. Da passiert eine antisemitische Grabschändung in Bremen und der Innensenator will sich nicht äußern. Das klingt nach: Mit Antisemitismus haben wir kein Problem, hier wird nur einmal in acht Jahren ein Grabstein geschändet. Aber Antisemitismus ist nicht nur die Schändung eines Grabsteins, sondern geht weit darüber hinaus.

Nimmt der Antisemitismus in Deutschland zu?

Er nimmt zu. In der jüdischen Gemeinde kennen wir das Problem, dass jüdische Menschen Angst haben zu sagen, dass sie jüdisch sind. Bei einigen stellt sich ein „Jetzt erst recht“ ein, aber viele haben einfach Angst: Zunehmend kommt es zu Tätlichkeiten gegenüber jüdischen Menschen, auf Demos werden antisemitische Parolen gegröhlt. Ich bin in den Neunzigern mit der sowjetischen Einwanderung nach Deutschland gekommen. In meiner Erfahrung hat der Antisemitismus in den letzten Jahren spürbar zugenommen.

Wie ist das zu erklären?

Antisemitische Meinungen sind salonfähig geworden. Das hat damit zu tun, dass Antisemitismus als Kritik an israelischer Politik verklärt wird. Das kippt ganz schnell in Antisemitismus. Als Israelkritik verpackter Antisemitismus wird als okay empfunden.

Worum geht es heute Abend? Wir haben den antisemitischen Vorfall der Grabschändung, zu dem es kaum Berichterstattung gab, zum Anlass genommen, um zu diskutieren, wie man damit am besten umgeht. Wir holen ein Feedback aus der jüdischen Gemeinde und fragen nach den Wahrnehmungen jüdischer Menschen zu Antisemitismus. Außerdem fragen wir nach der Rolle der Medien. Wie diese Berichterstattung beeinflussen können, sehen wir gerade im aktuellen Fall der von arte zurückgehaltenen Antisemitismus-Doku.

INTERVIEW gjo

18 Uhr, DGB-Haus Bremen, Bahnhofsplatz 22, Gäste u. a.: Elvira Nora, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Christian Weber, Bürgerschaftspräsident

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