heute in Bremen: „Dieser Riss existiert“
Diskussion Jürgen Gottschlich denkt mit Helga Trüpel übers türkische Referendum nach
taz: Jürgen Gottschlich, war das türkische Verfassungsreferendum mehr als ein weiterer Schritt auf einem lange begonnenen Weg?
Jürgen Gottschlich: Ja, das war eine absolute Zäsur: Mit dem Referendum verwirklicht Recep Tayyip Erdoğan, was er all die Jahre angestrebt hat. Es markiert den Beginn seiner neuen Türkei.
Das knappe Ergebnis lässt die gespalten wirken: Zeigt sich das im Alltag?
Ja, dieser Riss existiert und das spiegelt sich im Alltag wider. Es herrscht eine große Sprachlosigkeit zwischen den beiden Lagern. Man redet gar nicht mehr miteinander. In den Städten, in Istanbul zum Beispiel, führt das zu einer regelrechten Segregation. Die säkular orientierten Menschen ziehen weg aus den von der AKP und den Religiösen dominierten Vierteln. Und diese Zweiteilung lässt sich im ganzen Land beobachten: An der Schwarzmeerküste und in Anatolien war das Ja vorherrschend, in den Kurdengebieten, entlang der Mittelmeerküste und in allen Städten mit mehr als einer Million Einwohner wurde mit Nein gestimmt. Viele ziehen jetzt nach Izmir …
Bremens Partnerstadt!
Das ist eine Partnerschaft, die man pflegen sollte: Izmir ist die absolute Oppositions-Hochburg und seit Jahren ein Ort der inneren Emigration. Izmir sollte man unterstützen, so gut es nur geht.
Hältst du es für klug, dass die EU ihre Verhandlungen mit der Türkei weiterführen will?
Ach, dabei geht es doch nur darum, dass niemand den Schwarzen Peter haben will, sie zu beenden. Faktisch sind die Verhandlungen seit acht Jahren tot, und es ist ja auch nicht geplant, neue Kapitel zu eröffnen – was wiederum Erdoğan ultimativ gefordert hat. Allerdings hätte ihn auch ein Abbruch der Verhandlungen kaum beeindruckt.
Was denn sonst?
Das, was etwas hätte bewirken können, wären harte, wirklich harte Wirtschaftssanktionen. Das ist das Einzige, was zählt. Aber davon war keine Rede.
interview bes
„Die Türkei nach dem Verfassungsreferendum“, mit Helga Trüpel (MdEP), Jürgen Gottschlich, Europapunkt, 18 Uhr
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