herzog-kommission : Deutschland im Sozial-Casting
Der Bildungsstand der Deutschen ist immer etwas niedriger als gemeinhin angenommen. Jeder Fünfte in Deutschland zum Beispiel kann nicht sagen, warum wir am 3. Oktober freihaben. Nur dass wir freihaben, das weiß jeder. Die meisten BürgerInnen bewerten Informationen danach, welche Auswirkungen sie auf den Alltag haben. Überflüssiges hingegen rauscht vorbei und wird erst gar nicht ins Langzeitgedächtnis eingelagert. Das betrifft nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch den Streit um die Zukunft des Sozialstaats.
Kommentar von BARBARA DRIBBUSCH
Kopfpauschale! Bürgerversicherung! Und seit gestern: kapitalgedecktes Prämienmodell! Es ist ein harter Nebenjob für WählerInnen, bei den Vorschlägen zur Zukunft des Gesundheitssystems noch durchzublicken. BürgerInnen interessieren sich deshalb für den heimlichen „Wahrscheinlichkeitsfaktor“ eines Konzepts. Und die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung ist gering, was die Vorschläge der CDU-Kommission betrifft, die Altbundespräsident Roman Herzog gestern präsentierte.
Die Kommissionsidee, erst mal durch höhere Abgaben für die Krankenkassen einen „Kapitalstock“ bei denselben zu bilden und dann das ganze System auf eine kapitalgedeckte Versicherung umzulegen, wird wohl genauso wenig kommen wie der Vorschlag, die Zahnbehandlung aus den gesetzlichen Krankenkassen zu streichen. Auch die Vorstellung, dass die Bürger pro Kopf 260 Euro im Monat für die Krankenversicherung abdrücken müssten, dürfte dem CDU-Konzept wenig Popularität bescheren.
Dass die Vermittlung neuer Konzepte nicht einfach ist, war Herzog anzumerken. Auf allzu kritische Nachfrage erklärte er freimütig: „Man formuliert etwas und überlegt dann anhand der Formulierung, kann das eigentlich so sein?“ Tja, das überlegen sich viele BürgerInnen auch. Die Ideen zur Reform des Sozialstaats befinden sich im Dauer-Casting: Deutschland sucht den Super-Ausweg!
Die großen Konzepte helfen aber wenig, wenn schon die Umsetzung im Kleinen schwierig ist. Um ein Beispiel aus der jüngsten Gesundheitsreform zu nennen: Vom nächsten Jahr an müssen die Versicherten zum Arztbesuch zehn Euro mitbringen. Die Ärzte sind bisher noch ratlos: Soll ich ein EC-Karten-Lesegerät anschaffen? Ein Sparschwein aufstellen? Und wenn eine vergessliche Omi kommt: anschreiben lassen? Doch solcher Kleinkram gehört nicht zur Show, sondern nur zum realen Leben.
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