herthas rap : Frauenarzt im Stadion
Es gibt Atzen, und es gibt Keulen. Das ist Westberlin, ziemlich Old School, eher so Sixties-Shit und auch sehr Eckkneipe. Gemeint sind in beiden Fällen: Brüder. Im weiteren Sinne auch: Kumpels.
In den vergangenen Jahren wurde ein Remix des Atzen-Begriffs produziert. Neben die Atzen traten außerdem die Fotzen. Das ist etwas weniger Old School, eher so Nuller-Shit, aber noch sehr Westberlin, maskulin. Die Atzen und die Fotzen tauchen in einer bestimmten Schaffensphase eines Künstlers aus Tempelhof immer wieder auf, der seine Stilrichtung auch „Atzen Musik“ nennt. Sein Name ist Vincenco de Marcos, er hat auffällige Vorderzähne und oft Cap und Sonnenbrille auf. Seine zwischenzeitliche Berufsbezeichnung: Pornorapper aka Dr. Sex aka „Der Typ, der die Jugend verdirbt“.
In einigen seiner Stücke behandelt Frauenarzt die Fotzen nicht ganz so gut. Im Gegensatz zu den Atzen. Sie haben oft nicht so viel zu sagen, vielleicht auch wegen der männlichen Genitalien in ihrem Mund. Kritische Beobachter sind der Meinung, das vermittle ein bisschen ein ungutes Bild, gerade für jüngere Leute.
Auf Dauer war Frauenarzt ein wenig genervt davon, dass er neben den Kollegen Bushido und Sido als einer der wenigen Exklusivverantwortlichen für die sexuelle Verwahrlosung junger Hellersdorfer galt. Er hat deshalb seine Internetpräsenz deutlich jugendfreier gestaltet und seine neuen Texte entsexualisiert. Zwischenzeitlich machte er sogar bei einer Benefizaktion der Suppenküche Arche mit – gegen sexuelle Verwahrlosung.
Auf einem Podium sagte er, was er immer gesagt hatte: Seine Musik sei für Leute über 18. Er sei Partyrapper, seit etlichen Jahren, nicht nur Pornotexter. Bitte alles mitschreiben! Die Journalisten, die gekommen waren, fanden das nicht so spannend. Eine mühsame Geschichte, diese Imagekorrektur. Die Fotzen-Texte gab es halt noch.
Jetzt allerdings bekommt Frauenarzt so eine Art öffentliche Imageunterstützung aus einer Ecke, in der sich viele Atzen im ursprünglichsten Sinne befinden. Die Ecke ist eigentlich eine Kurve, im Stadion von Hertha BSC. Da stehen bei Heimspielen nun Kuttenträger, manche mit Pornobalken und Matte, auch sehr Eckkneipe, sehr Eisbein und Keule und alles, und diese Fans grölen eine Melodie, die aus einem Frauenarzt-Track stammt. „Hey, das geht ab – Wir holen die Meisterschaft“, brüllen sie. Bei Frauenarzt heißt es „Wir feiern die ganze Nacht.“ Einem Bericht des Tagesspiegels zufolge soll de Marcos fast vom Sofa gefallen sein, als er das an einem Samstag in der „Sportschau“ hörte. Sein Lied im Stadion! Er distanziert sich in der Zeitung noch einmal von der „platten Fäkalsprache“ vergangener Tage.
Für Feministinnen ist der Song, dessen Refrain Frauenarzt jetzt ins Stadion gebracht hat, dennoch nur begrenzt geeignet. „Die Frauen sind hier sehr freizügig, sie zeigen, was sie haben“, rappt de Marcos Atze Manny Marc. „Wir ham den Mob mitgebracht, wir toben mit in der Menge“, verkündet er außerdem. Und Frauenarzt überlegt offenbar, das tatsächlich mal wieder zu tun – ins Stadion zu gehen, im Block den eigenen Song mitzusingen.
Es passt alles ziemlich gut zusammen. Eckkneipe und Eisbein gehören beispielsweise auch zum Inventar von „Orgi Pörnchen“, den Pornos, die der Rapper-Kollege Orgi immer noch produziert, mit dem Frauenarzt einst auf „Porno Mafia“-Tour war. Was Fangesänge anbelangt, hat Manny Marc auch eine gewisse Erfahrung. Mit Titeln wie „Auf die Fresse“ prägte er maßgeblich das, was er „Deutscher Fußball Rap“ nennt. „Fußball ist der King, weil er die Massen vereint“, stellte darin jemand fest. Ach ja, und auf einem Album zur EM findet sich auch der Track „Danke, Deutschland!“. Etwas beunruhigend zwar die Zeile „Wir sind wieder wer“, noch schlimmer der Einwurf „Deutschland über alles“, sehr beruhigend dann aber der Zusatz: „doch wir sind keine Nazis.“ Atzen-Musik halt.
Na dann ist ja alles klar, Keule! Wir holen die Meisterschaft. Die deutsche! JOHANNES GERNERT