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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf „Augenblick, äääh, verweile doch …“

FRITZ TIETZ über einen Besuch beim prominentesten Bewohner der Zuger Wohnanlage„Zur Steueroase“

Jüngster Wimbledonsieger der Tennisgeschichte, zähester Äääh-Sager der Welt, am albernsten frisierter Ex-Tennisprofi aller Zeiten. Kaum ein Superlativ, der bisher nicht auf den einstigen Ausnahmesportler und wohl weltbekanntesten Besenkammerbesucher angewendet wurde. Erst letzte Woche kamen frisch dazu: zett-de-effster Dauergast, ausgelutschtestes Kerner-Opfer, Autor der überflüssigsten und mit „Augenblick, verweile doch …“ dämlichst betitelten Biografie seit den Memoiren von Effe (die bekanntlich den Titel „Ich hab’s allen gezeigt“ führten und folglich eher an die Lebensbeichte eines Stadtpark-Exhibitionisten als an die eines begabten Stinkefingers gemahnten). Boris Becker aber, dem berühmtesten Leimener des Universums, fehlt in seiner Superlative-Sammlung nur noch diese Auszeichnung: heimgesuchtester Armleuchter. Um das zu ändern, habe ich ihn neulich in seinem Schweizer Heim besucht.

Zug bei Zürich. Seit kurzem ist das 23.000-Einwohner-Städtchen Beckers fester Wohnsitz. In der pittoresken Wohnanlage „Zur Steueroase“ hat er ein dreitennisplatzgroßes Mehrraum-Appartement gemietet. Ein schlichtes „Bumm-Bumm-Boris, Steuerflüchtling“ prangt auf dem Klingelschild. Aber Becker ist nicht daheim. Ein Zettel pappt an der Haustür: „Bin kurz weg, meine Bücher verticken.“ Wenig später entdecke ich ihn vor einem nahe gelegenen Einkaufszentrum, sehe ihn aus einem kleinen Wägelchen heraus seine Biografie an eilige Passanten verteilen: „Augenblick, äääh, verweile doch …“ ruft er wie ein angestochener Marktschreier, hält den Leuten verzweifelt seine Schwarte entgegen.

Doch kaum einer will das Zeug, nicht mal geschenkt. „Keine Zeit!“, zischt einer. „Lass stecken, Doofmann!“, brummelt ein anderer. Die wenigen, denen Becker ein Buch anzudrehen vermag, schmeißen es nach kurzer Inaugenscheinnahme in die Rabatten. Becker packt sie alle wieder in seinen Hackenporsche, ehe wir gemeinsam zurück zu seiner „Steueroase“ schieben. Er versteht seine gute alte Tenniswelt nicht mehr: „Soll denn das tagelange Rumgehänge bei Kerner völlig umsonst gewesen sein? Meine Bücher bleiben wie Blei liegen.“ Ungefragt signiert er plötzlich eins und schenkt es mir. In einem unbeachteten Moment lasse ich es in einen Gully gleiten. Ich brauche den Scheiß auch nicht.

Kurz darauf trudeln wir in Beckers kleinem Steuerparadies ein. Die Einrichtung ist vollständig im Tennisplatz-Dekor gehalten. Überall Netze. Jeder Raum verfügt über einen anderen Bodenbelag: Rasen im Wohnzimmer, Kunststoff in der Küche und Sand in der Besenkammer; „wegen eventueller Sportsflecken“, schmunzelt der zwei- bis dreifache Vater, „die sieht man auf Sand nicht so.“ Eine Ballmaschine pumpt unausgesetzt eklig filzene Bälle in das Wohnzimmer: „Mein Center-Court“, wie Becker sagt, während er zwischendurch ein paar Super-Aufschläge der Maschine returniert. Irgendwann ballt er sie auch kurz mal wieder: die berühmte Beckerfaust.

Die Wohnungswände sind mit grünen Werbebanden tapeziert, auf denen für Haargel und Dauerwurst geworben wird. Nur in der Besenkammer hängt ein von Becker gemaltes Bild: „Der Samenraub der Sabinerinnen“. Wir machen es uns im Wohnzimmer gemütlich – so gemütlich das auf den zwei Meter hohen Schiedsrichterstühlen eben geht, die hier als stilgerechte Sitzmöbel dienen. Was die drei Punkte im Titel seines Buches bedeuten, will ich von Boris Becker wissen. „Na was schon: Punkt, Punkt, Punkt“, sagt er, konkretisiert dann, „also fünfzehn, dreißig, vierzig.“ Natürlich.

Schon feuere ich meine nächste Frage ab. Die Medienseite lieber mit oder ohne TV-Programm? Statt zu antworten, schaltet Boris Becker den Fernseher ein, zappt fahrig durch die Kanäle: „Verdammt, nirgends eine Sendung mit mir.“ Er bekommt einen seiner berühmten Wutanfälle, zetert, schreit, schmeißt die Fernbedienung auf den Boden, wodurch der Fernseher automatisch auf Phoenix umschaltet, wo gerade SPD-Parteitag läuft. Der Rest ist Schweigen.

Fotohinweis: Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport