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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Das Ende von Rot-Weiss

FRITZ TIETZ wundert sich über ein gescheitertes Koalitionsprojekt, die Handballer aus Dankersen sowie den Abstieg von Essen, Erfurt und Oberhausen

Gibt es wieder so eine Art Reichsschrifttumskammer in Deutschland? Oder warum sonst müssen plötzlich nahezu sämtliche Pressefritzen wie auch Pressetanten die Bundesregierung als rot-grünes Projekt bezeichnen? Als sei am letzten Sonntag, dem Wahltag bekanntlich in NRW, ein zentraler Erlass an alle deutschen Fernseh-, Rundfunk- und Zeitungsredaktionen ergangen: Achtung! Dringend! Ab sofort dürfen die beiden, aktuell bundesregierungsbeteiligten Parteien nur noch als rot-grünes Projekt bezeichnet werden! Zuwiderhandlungen werden mit einer gehörigen Tracht Phrasendresche und der anschließenden Zwangsversetzung ins Feuilleton geahndet, dem Gulag bekanntlich jeder Redaktion – ausgenommen natürlich die taz, da ist das Straflager die Witzseite. Nein, anders als durch solch einen Schrifttumskammererlass kann ich mir die strikte begriffliche Gleichschaltung „rot-grünes Projekt“ nicht erklären.

Glücklicherweise kommen rot-grün projektierte Aspekte im publizistischen Schlaraffenland des Sportkolumnenwesens kaum vor, sodass ich mir hier jedes Gelabere darüber sparen kann. Festgestellt werden muss in diesem Zusammenhang höchstens, dass die Kombination der Farben Rot und Grün in der ansonsten doch so üppig bunten Welt des Sports keine, zumindest keine terminologische Rolle spielt. Oder gibt es vielleicht einen bedeutenderen deutschen Sportverein, der ein Rot-Grün im Klubnamen führt? Gibt es nicht. Nicht mal das Grün taucht in diesem Zusammenhang sonderlich häufig auf, obwohl doch die Vertreter etlicher Sportarten durch deren Ausübung auf Rasenplätzen eine besondere Hinwendung zum Grün verspüren sollten. Grün-Weiß Dankersen fällt mir da lediglich ein und damit ausgerechnet ein Verein, der die von ihm favorisierte Disziplin, den Handballsport, längst nicht mehr (wie noch zu Feldhandballzeiten) auf der Wiese, sondern überwiegend in der Halle ausübt. Davon abgesehen heißt dieser Verein mittlerweile auch nicht mehr Grün-Weiß Dankersen, sondern bloß noch, weil aus kommerziellen Gründen eingemeindet, GWD Minden-Hannover.

Das Wort Rot taucht dagegen häufiger in deutschen Sportvereinsnamen auf – als Reminiszenz möglicherweise an den typischen roten Schlackebelag, den ja traditionell viele deutsche Sportplätze aufweisen? Vielleicht in Affinität auch an das Blut, das nach Stürzen auf ebensolchem Geläuf aus den daraus resultierenden Knie- und Ellenbogenwunden zu schießen pflegt? Man weiß es nicht.

Apropos Weiß! Fast ausschließlich wird in Sportvereinsnamen das Rot in Verbindung mit Weiß verwendet. Oder auch mit Weiss, aber weiß der Geier, warum man hierzulande Weiß teils mit ß, teils mit Doppel-S schreibt. So wie sie das bei Rot-Weiss Essen zum Beispiel tun, dem mit Abstand legendärsten Vertreter aller rot-weiß benamten Fußballklubs. Denen übrigens in tutti gemein ist, dass ihre großen Zeiten, sofern sie jemals welche erlebten, schon Jahre zurückliegen. In der 1. Fußball-Bundesliga spielen die bisher einzig darin vertretenen Rot-Weißen, nämlich Oberhausen und Essen, schon seit Dekaden keine entscheidende Rolle mehr. Und ein Blick auf die aktuelle Abschlusstabelle der Zweiten Bundesliga unterstreicht, dass da in absehbarer Zeit auch kaum anderes zu erwarten ist. Mit Erfurt, Essen und Oberhausen belegen da nämlich alle zuletzt noch im Profibereich tätigen Rot-Weißen die drei hinteren Abstiegsplätze. Nur ein Zufall? Oder steckt mehr dahinter? Ein rot-weißer Fluch womöglich?

Und überhaupt: Das gab es noch nie. Einen gleichzeitigen Abstieg dreier gleich benamter Fußballvereine. Das muss als ein absolutes Novum in der Geschichte des deutschen Profisports gelten. Um so unverständlicher, dass sich derzeit alle Welt bloß an den hochgejazzten und redundanten Betrachtungen über das sowieso absehbare Ende von Rot-Grün beteiligt. Um den dagegen geradezu mysteriös anmutenden sportlichen Niedergang von Rot-Weiß kümmert sich dagegen keine Sau bzw. nur wieder mal der Sportkolumnist. Eine zufriedenstellende Erklärung hat aber auch er dafür bislang nicht anzubieten.