herr tietz macht einen weiten einwurf : Die Leiden des Titten-Heinz
Gunda Niemann-Stirnemann, erfolgreichste Schlittschuhläuferin aller Zeiten, will nicht mehr schnellstmöglich im Oval herumlaufen, so wurde letzte Woche bekannt. Als Grund gab die 39-jährige Erfurterin „starke Rückenschmerzen“ an. Ende der Meldung.
Woran denken Sie bei Rückenschmerzen? Ich denke an Titten-Heinz. Es war im Frühjahr 1978. Ich hatte gerade mein Abitur absolviert und verdingte mich bei einer Bielefelder Gartenbaufirma, um mir so die Reisezehrung für einen Griechenland-Trip zu erschuften. So lernte ich Titten-Heinz kennen. Er war der Vorarbeiter des Bautrupps, dem ich als Handlanger zugeteilt wurde. Er war kaum älter als ich, aber um einiges kräftiger. Und er trank zum Frühstück schon Bier. Zudem war er fleckenweise stark tätowiert, was damals noch als ein exklusives Signum der Unterschicht galt. Titten-Heinz hieß er, weil er bei der Arbeit meistens oben ohne rumrannte und gern seine muskulösen Brüste zeigte. Heinz war ein feiner Kerl. Immer korrekt seinen Untergebenen gegenüber. Nie scheuchte er einen mehr als nötig. Die härtesten Arbeiten übernahm er selbst. Er stieg ohne Sicherung in die Bäume, um deren Kronen zu kappen. Er traute sich, den Unimog die steilsten Böschungen hochzufahren. Er schleppte die Gehwegplatten fast alleine die langen Gartentreppen hinauf.
Unvergessen auch, wie Heinz einmal einen kleinen Radbagger eine abschüssige Straße runterfuhr und dem plötzlich die Bremsen versagten. Heinz sprang nicht etwa von dem mählich schneller rollenden Fahrzeug ab, um sich zu retten. Er blieb an Bord und versuchte den Bagger zu bremsen, indem er dessen Schaufel auf der Fahrbahn schleifen ließ. Hatte aber keinen Zweck. Ungebremst rollte er schließlich mit hohem Tempo auf eine talwärts querende Vorfahrtsstraße zu. Schon wähnte man ihn in ein dort fahrendes Auto krachen oder in die gegenüberliegende Hauswand. Irgendwie schaffte es Heinz aber, den Bagger die Kurve kratzen zu lassen. Auf zwei Rädern sah man ihn um die Ecke verschwinden. Dann stoppte ein Pfahl die Amokfahrt. Geknickt lag der unter dem Gefährt. Auf dessen Fahrersitz saß Heinz, kreidebleich, aber unversehrt. Eine Stunde später wullackte er bereits wieder auf der Baustelle herum.
Gut fünfzehn Jahre später traf ich Heinz wieder. Er gehörte zu einer Gruppe leicht verwahrlost wirkender Männer, die auf dem Bielefelder Bahnhofsvorplatz residierten und dort eine Art Empfangskomitee bildeten. Jedenfalls kam mir das so vor, als ich – inzwischen in Hamburg lebend – auf einen Heimaturlaub nach Bielefeld reiste und also aus dem Bahnhofsgebäude tretend von einem der Herrschaften begrüßt wurde: „Haste mal ne Mark?“, raunzte der mich leicht flackernden Blicks an, und siehe da, es war Titten-Heinz. Ich erkannte ihn trotz seines ungepflegten Bartes sofort. „Mensch Heinz! Wie geht’s denn?“ Nun, es ging ihm nicht gut. Starke Rückenschmerzen hatten ihn zur Aufgabe seines Gartenbaujobs gezwungen. Eine Umschulung zum Telefonakquisiteur hatte er abgebrochen. Seitdem lebte er von der Stütze. Es ist aber nicht nur dieses traurige Ereignis, warum ich bei Rückenschmerzen an Heinz denken muss. Es ist vor allem jenes Bekenntnis, das Heinz einmal entfuhr, als er noch mein Vorgesetzter war. Es ging wohl während einer unserer gemeinsamen Frühstücksjausen um das eine ewige Männerpausenthema, und Heinz äußerte sich damals so dazu: „Ich steh total auf Frauen mit Rückenschmerzen.“ Eine seltsame Vorliebe, wie ich fand. Was soll an Frauen mit Rückenschmerzen so attraktiv sein? Erst sehr viel später fiel der Groschen: Mit Frauen, die Rückenschmerzen haben, meinte Heinz Frauen mit großen Brüsten.
Tatsächlich gelten große Brüste als eine Ursache für Rückenschmerzen bei Frauen. Schuld sind aber häufig auch Stress, Unzufriedenheit im Job oder krisenhafte Lebensereignisse. Genauso können das Tragen von absatzschiefen Cowboystiefeln, durchgelegene Hotelbetten oder schlechte sitzende Gebisse Rückenschmerzen verursachen, so ist es jedenfalls aus den einschlägigen Quellen zu erfahren.
Fotohinweis: Herr Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport