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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Fresendorfer Revolutionärin

FRITZ TIETZ hat effektiv als Erster erkannt, welche Verdienste Günter Netzer um die aktive Regeneration mit der von ihm kreierten Netzerbeuge hat

Ein Nachtrag noch zum Fosbury-Flop, dieser hier schon letztes Mal so weitschweifig bekakelten Hochsprungtechnik, als deren Erfinder – bislang unangefochten – der Amerikaner Dick Fosbury galt. Laut einem Bericht der Kieler Nachrichten ist aber jener rücklings gesprungene Lattenroller, mit dem Fosbury 1968 die Welt überraschte, schon 18 Jahre zuvor von einer Deutschen praktiziert worden. Hella Seydler, so lautet ihr Name.

Die heute 70-Jährige aus dem schleswig-holsteinischen Fresendorf ist bereits 1950 per „Rückenrolle“, wie die Dreizehnjährige das ihrerzeit nannte, über den Hochsprungbalken ihrer Schule gejumpt. „Mir erschien das ganz logisch. So sind wir ja auch über die Heckentore rüber“, erinnert sich Frau Seydler heute noch sehr genau, wie sie zu dieser Sprungtechnik kam. Bei ein Meter fünfundsechzig lag ihr Rekord. Und sie wäre wohl noch um einiges höher gesprungen, wenn ihre Schule über eine Matte statt bloß über eine Sandgrube als Aufprallschutz verfügt hätte. Aus Sorge um ihre Gesundheit habe ihr daher nämlich ihr Sportlehrer seinerzeit alle über einsfünfundsechzig angesetzten Rückenrollenversuche untersagt.

Von Fosburys legendärem Olympiaauftritt erfuhr Frau Seydler, die mit vierzehn die Schule und damit auch ihre sportliche Laufbahn beenden musste, erst Jahre danach. Bei einem Ehemaligentreff 1990 erzählte ihr ihr alter Sportlehrer davon. Er bescheinigte seiner ehemaligen Schülerin auf einem noch heute existierenden Zettel, dass sie weit vor seiner offiziellen Erfindung den Fosbury-Flop beherrschte. Dieser hätte demnach genauso gut auch als Seydler-Rolle berühmt werden können. Wie naheliegend ist da übrigens die Frage, ob auch andere, nach ihren angeblichen Erfindern benannte Sporttechniken mit Recht deren Namen tragen? Ich meine: sehr naheliegend. Denn wie der Fall Fosbury/Seydler zeigt, kann selbst eine über Dezennien sicher geglaubte Urheberschaft urplötzlich eine ganz andere sein

Trägt beispielsweise der Axel seinen Namen zu Recht? War es wirklich der Norweger Axel Paulsen, der diesen Königssprung des Eiskunstlaufs 1882 als Erster vollführte? Und wieso heißt er dann eigentlich nicht Paulsen? Schließlich wurden alle seine Sprungbrüder nach den Nachnamen ihrer Erfinder benannt: dem Deutschen Werner Rittberger sowie dem Schweden Ulrich Salchow. Nicht mal der Lutz ist, wie man aufgrund des verbreiteten Lutzaufkommens im deutschsprachigen Vornamenwesen allerdings leicht denken könnte, nach dem Rufnamen seines Schöpfers benannt worden. Wenn dem so gewesen wäre, hätte der Lutz richtigerweise ein Alois sein müssen, denn es war bekanntlich der Österreicher Alois Lutz, der den Lutz erfand.

Der Flip hingegen und, um auch den noch zu erwähnen, der Toeloop sind weder Vor- noch Nachname von irgendwem. Keine Ahnung, warum diese Sprünge so heißen, woher die Namen stammen. Keine Ahnung übrigens auch, warum es in manchen Sportarten vor Namenspaten geradezu wimmelt, in anderen dagegen so gut wie keine ihrer Begrifflichkeiten namentlich an Personen gebunden sind.

Im Fußball fällt mir diesbezüglich nur diese eine Standardsituation ein: die Netzerbeuge. Also jene von Günter Netzer kreierte Körperhaltung, wie sie der langhaarige Spielmacher in seiner aktiven Zeit immer mal wieder nach kraftraubenden Sturmläufen einnahm: den Oberkörper vornüber gebeugt, dabei die Hände auf den Oberschenkeln abstützend und gesenkten Hauptes so lange verharrend, bis wieder genug Luft da war. Gut, die Kuntzsäge könnte man in diesem Zusammenhang noch nennen, eine der Beckerfaust nicht unähnliche Jubelgeste, die der Stürmer Stefan Kuntz prägte.

Aber sonst? Nein, die Ersatzbank wurde nicht nach Walter Ersatz (1826–1901) benannt, dem Begründer der Ersatzkasse. Mit der Erfindung der gleichnamigen Bank hat er aber erwiesenermaßen nichts zu tun. Die hat der deutsche Sport allein einem gewissen Richard Auswechsel (1902–1956) zu verdanken. Womit sich übrigens auch endlich erklärt, warum die Ersatzbank gelegentlich Auswechselbank genannt wird.