held mit hirnschaden von RALF SOTSCHECK :
Nationalheld zu sein ist ein ziemlicher mieser Job. Noch mieser ist es, britischer Nationalheld zu sein. Am schlimmsten aber ist es, als britischer Nationalheld auserkoren zu werden und dann zu versagen. Paula Radcliffe, die bei den Olympischen Spielen in Athen erst beim Marathon und eine Woche später beim 10.000-Meter-Lauf auf halber Strecke aufgab, kann ein Lied davon singen. Die Boulevardpresse ließ keine Gemeinheit aus.
Vielleicht geht man mit ihr in hundert Jahren gnädiger um. In Ermangelung aktueller Helden greifen die Briten gern auf die Geschichte zurück und verklären sie dabei nach Strich und Faden. Der Massenmörder Oliver Cromwell und der Rassist Winston Churchill liegen immer ganz vorne, wenn es um die „bedeutendste britische Persönlichkeit aller Zeiten“ geht. Mit dabei ist stets auch Admiral Horatio Nelson. Der hat sogar seinen eigenen Fanclub, den „1805 Club“.
Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Nelson-Denkmäler vor dem Verfall zu retten. Als ob der Admiral das nötig hätte. Jedes Jahr zur „Trafalgar Night“ veranstalten patriotische Engländer in aller Welt ein Dinner zu Ehren des Einäugigen. Sein Schiff, die „HMS Victory“, ist im historischen Hafen von Portsmouth ausgestellt. Und auf dem Trafalgar Square, einem der prominentesten Plätze Londons, steht seine Statue. In der ehemaligen Kolonie Irland ist Nelsons Ansehen komischerweise geringer. Seine Statue, die mitten auf Dublins Hauptstraße stand, wurde eines Nachts im Jahre 1966 von drei patriotischen Iren in die Luft gesprengt.
Nelson wurde aber schon zu Lebzeiten kräftig lädiert. In der Schlacht bei Calvi verlor er sein Auge, in der Schlacht am Nil wurde er am Kopf verwundet und trug einen leichten Hirnschaden davon, und in der Schlacht von Trafalgar wurde er 1805 schließlich erschossen. Seinen rechten Arm hat er übrigens nicht in einer Schlacht verloren, sondern bei einem Piratenakt: Er wollte auf den Kanarischen Inseln ein Schiff, das einen Schatz geladen hatte, kapern. Privat war er ebenfalls nicht gerade ein Held. Als sein Freund William Hamilton ihn nach Neapel einlud, um sich zu erholen, begann er eine Affäre mit Hamiltons Frau Emma. Die gemeinsame Tochter tauften sie ausgerechnet Horatia. Als William starb, versuchten Nelson und Emma vergeblich, auch die Ehefrau des Admirals ins Grab zu treiben.
Davon ist selbstverständlich keine Rede in der Sammlung von Nelsons Briefen, die zum 200. Jahrestag der Schlacht von Trafalgar und Nelsons Tod im nächsten Jahr veröffentlicht werden. Darin erscheint der garstige Galan als „freundlicher Mann, der sich für das Kulturerbe einsetzte und die Franzosen liebte“, wie seine Anhänger mit feuchten Augen jubeln. Hat er die Franzosen denn nur versehentlich abgemetzelt?
Es geht in seinen Briefen lediglich um einen Franzosen, den Schriftsteller Le Chevalier, den er zum Weltbürger erklärte und am Leben lassen wollte. Und das Kulturerbe? Nelson bat Premierminister Henry Addington um Begleitschutz für 26 Kisten mit griechischen Statuen und Büsten, die er von einem französischen Schiff geraubt hatte und in England verhökern wollte. Jede Nation sucht sich die Nationalhelden, die sie verdient.