piwik no script img

Archiv-Artikel

harald fricke über Märkte Reisen in den Rest der Welt

Trotz aller politischer Bedenken: Man kann in Birma Urlaub machen und damit sogar die Opposition unterstützen

Wir treffen uns auf der Straße beim Einkaufen. Sie war ein paar Wochen im Urlaub, wieder in Asien, diesmal nicht Thailand, sondern Birma. Das Frühjahr ist eine gute Zeit für das Land, weil die Regenperiode noch nicht eingesetzt hat. Bevor sie weiter erzählen kann, frage ich einigermaßen verblüfft, ob das überhaupt geht – moralisch sozusagen. Ist in Birma nicht eine schlimme Diktatur an der Regierung, die man auf keinen Fall unterstützen darf? Naja, das sei schon kompliziert, kommt zögernd die Antwort. Das Militär regiert noch immer, nur würden die Leute dort jetzt anders mit den Bedingungen umgehen.

Während die Opposition früher strikt gegen Reisen ins Land war, weil die Touren vom Regime organisiert wurden, das dafür Devisen kassierte, kann man sich mittlerweile auf eigene Initiative bewegen. Wer nach Birma fährt, finanziert nicht zwangsläufig nur Militärs, der Tourismus kommt inzwischen auch der Bevölkerung zugute.

Zu Hause schaue ich im Lexikon nach. Birma ist gut doppelt so groß wie Italien, es gibt drei dominierende Volksstämme: Birmanen, Schan und Inder, die Mehrheit ist buddhistisch. Birma besteht aus einem weiten Bergland und dem trockenen Irawadibecken, hat allerdings die ertragreichsten Reisanbaugebiete Hinterindiens, dazu kommen Viehzucht, der Handel mit Teakholz und vor allem Erdöl. Im 19. Jahrhundert wurden Kriege mit Großbritannien geführt, 1886 kam die Angliederung an Britisch-Indien, seit 1948 gilt Birma als selbstständig.

Während der kurzen Lektüre denke ich bei jedem Satz an den Irak. Alles klingt ähnlich – die Landschaft, die religiös und ethnisch aufgesplittete Bevölkerung, selbst die Kolonialgeschichte. Und dann die Diktatur: Erst vergangenes Jahr fand in Berlin ein Birma-Kongress statt, auf dem beklagt wurde, dass die Militärs auch nach Freilassung der berühmten Dissidentin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi im Mai 2002 mit Gewalt gegen Oppositionelle vorgehen und sich nicht groß um Menschenrechte scheren. Deshalb fordern Vertreter von NGOs, dass die internationale Staatengemeinschaft politisch und ökonomisch Druck auf die birmesische Regierung ausübt – man solle zwar humanitäre Hilfe leisten, aber eine engere Zusammenarbeit auf Entwicklungsebene würde nur die Junta festigen.

Bis vor wenigen Wochen hätten all diese Feststellungen auch auf den Irak zugetroffen. Dann kam der Krieg, dann der Sturz von Saddam Hussein. Nach Monaten der Zerknirschung können sich selbst Chirac und Bush darauf einigen, dass endlich das Embargo aufgehoben werden muss, um der irakischen Bevölkerung mit Lebensmitteln und Wirtschaftsgütern zurück in die Zivilgesellschaft oder wenigstens auf die Füße zu helfen. Bald findet sich bestimmt auch ein Reiseunternehmen, das wieder Touren nach Bagdad anbietet, zum Kennenlernpreis.

Der Tourismus eignet sich gut als Seismograf in Krisengebieten. Vor dem Irakkrieg galt nicht einmal die Türkei als sicher, statt dessen konnte man bei großen Anbietern wie TUI oder Thomas Cook auf Spanien umbuchen. Jetzt ist der Militäreinsatz sogar pünktlich zur Vorsaison beendet. Gleichzeitig kann man aber nicht sicher sein, wie es in Syrien weitergeht. Insofern erscheint der vorderarabische Raum doch immer noch als vermintes Gelände, von weiteren Strecken nach Iran oder Pakistan ganz zu schweigen.

Andererseits ist es erstaunlich, wie schnell sich die Kluft nach knapp zwölf Jahren des Konflikts schließt. Spätestens mit dem 2. Golfkrieg erschien Irak als ein Land im Ausnahmezustand: Die einen warteten auf den zur Not auch durch US-Militärs herbeigeführten Sturz Saddam Husseins; die anderen forderten „Kein Blut für Öl!“ und demonstrierten für eine gewaltfreie Lösung, stets mit Blick auf den kritischen Dialog. Der Rest träumte in Sachen Orient einfach von imaginären Gegenden aus Tausendundeiner Nacht oder Karl-May-Romanen. Nebenbei wurde ein halber Kontinent zur Terra incognita.

An Birma denkt in Zeiten von Post-9/11-Bedrohungsszenarien vermutlich kein Mensch. Globetrotter-Exotik, das war gestern. Die Ränder der Welt sind nicht mehr bloß Nischen zur eigenen Lebensbewältigung, ferne Orte für Selbstverwirklichungstrips. Sie sind zu Risikozentren geworden, für die vor jedem Besuch erst Sicherheitschecks vom Auswärtigen Amt eingeholt werden. Dabei ist mir vor lauter Terrorbewältigung schon kaum noch klar, was momentan in Algerien oder Tunesien geschieht. Für mich werden damit die blinden Flecken auf dem Globus mehr und nicht weniger. Immerhin weiß ich jetzt, dass man nach Birma fahren kann – nicht trotz, sondern gerade wegen der Bedenken.

Fragen zum Rest der Welt?kolumne@taz.de