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Archiv-Artikel

harald fricke über Märkte Den Mann einen lieben Gott sein lassen

Die Mönche im Mittelalter wussten noch: „Das Wasser gibt dem Ochsen Kraft, dem Menschen Bier und Rebensaft“

Liquida non frangunt ieunum – Flüssiges bricht das Fasten nicht. Während ich diese Zeilen schreibe, hängt meine Zunge bis an die Kniekehlen und kitzelt dabei unangenehm. Wieder einmal steigt das Thermometer im Zimmer auf 30 Grad, seit Wochen geht das schon so. Der kleine Lateiner in mir hat dafür keine Erklärung. Saufen ist schließlich keine Lösung.

Bis zu fünf Liter Bier am Tag haben die Mönche im 13. Jahrhundert angeblich getrunken, so ist es in der Geschichte des Bierbrauens überliefert. Weil ihnen Disziplin und Enthaltsamkeit auch bei den Mahlzeiten abverlangt wurde, war Bier ein probates Mittel, um die Strenge der Exerzitien mit gut durchgegorener Flüssiggerste auszupegeln.

Die Orte des kollektiven Vollrauschs sind bekannt: Andechs, Weltenburg, Bischofshof, Aldersbach. Das muss eine Spitzenstimmung in den Klöstern des Mittelalters gewesen sein, hicks, darauf ein Vaterunser und eine Runde für die Bruderschaft. Irgendwann nach dem sechsten Humpen spätestens konnte man den Mönchen zuhören, wie sie sich begeisert zulallen: „Das Wasser gibt dem Ochsen Kraft, dem Menschen Bier und Rebensaft, drum danke Gott als guter Christ, dass du kein Ochs geworden bist. Prost!“ Plötzlich funkt es auch bei mir erstaunlich klar – sagt man nicht Herr Ober, wenn man was zu trinken bestellt?

Doch die heilige Einheit von Bier und Beten ist vor kurzem schwer in Misskredit gebracht worden. Natürlich in Berlin, wo sonst. Natürlich von den Evangelen, wem sonst. Dabei ist die Vorgeschichte schnell erzählt. Am Anfang schuf Gott die Marienkirche, weil er sah, dass sich an diesem Ende der Spree immer mehr Menschen ansiedelten und mit ihnen ein neues Marktviertel. Da hieß es Prioritäten setzen, also baute er das Gebäude gleich neben die Kartoffelstände und Hasenställe.

Gut 50 Jahre hat Gott für die Fertigstellung gebraucht. Von den Mönchen war ja keine Hilfe zu erwarten, die waren ja dauernd stramm. Zur Warnung vor Völlerei und überhaupt allen weltlichen Gelüsten von unkeuschen Gedanken bis hin zu Mord und Totschlag hat er schließlich noch ein Fresko an die Wand gepinselt, das „der Totentanz“ betitelt ist und als ältestes Wandbild Deutschlands gilt.

Während sich aber die Malerei über all die Zeiten gut erhalten und selbst die Herrschaft der Bauern und Arbeiter ohne große Bilderstürmerei überstanden hat, ist der Turm der Marienkirche, die heute direkt an der Karl-Liebknecht-Straße in der Nähe des Alexanderplatzes liegt, seit Jahren schon sanierungsbedürftig. Weil die Kirchengemeinde knapp mit Geldern für die Renovierung ist und Gott spätestens seit Mauerfall im Urlaub weilt, wird das Gerüst um den morschen Turm immer wieder für Werbung vermietet. Das bringt dem Gotteshaus monatlich etwa 7.000 Euro für die Baukasse, immerhin. Deshalb gab es weithin bis zur Museumsinsel sichtbar Mineralwasserreklamen, es gab Luxuslimousinen und es gab eine Anti-PDS-Wahlkampagne.

Letzte Woche war jedoch Schluss mit lustig: Die Pläne, eine überdimensionale Bierwerbung vor die Fassade zu hängen, wurden gestoppt. Offenbar wollte man das Treiben der Trinker in den zahllosen Pinten rund um den Fernsehturm nicht noch mit Gottes Hilfe fördern. Na was ein Segen, dabei sind die Brauereien doch hunderte von Jahren eine lukrative Einnahmequelle für die Bistümer gewesen – der Freisinger Bischof hat es 1040 vorgemacht, als er dem Kloster Weihenstephan das Brau- und Schankrecht verlieh.

Aber hier ist Berlin und nicht Bayern. Nachdem sich der evangelische Superintendent der Berliner Kirchengemeinde die Entwürfe einer in Sachen Bier rührigen Promotion-Agentur angeschaut hatte, wurde entschieden: Kein Flaschenhals von „Berliner Pilsner“ wird die Kirche verschönen; kein durstiger Mann wird seine Finger nach Art von Michelangelos „Jüngstem Gericht“ einem frischen Pils entgegenstrecken; vor allem aber wird der nun auch nicht eben kesse Slogan „Gott sei Dank aus Berlin“ dem gottesfürchtigen Kirchengänger erspart bleiben. Für den Superintendent steht nämlich fest, dass es „tausend andere Dinge gibt, für die wir danken sollten“.

Mir selbst fallen gerade nur zwei Sachen ein: der von Petrus angekündigte Regen und Frieden auf der Welt. Aber genau genommen fände ich es am besten, wenn in dieser unentwegt weiter brütenden Hitze irgendein freundlicher Geist an meinen Schreibtisch käme und fragen würde: „Möchten Sie das Bier lieber gezapft oder aus der Flasche?“ Dann würde ich gar nicht lange überlegen, gleich einen Halben für den Durst bestellen und noch einen für später und den guten Mann ansonsten einen lieben Gott sein lassen.

Fragen zum Bierchen?kolumne@taz.de