harald fricke über Märkte : Wenn die linke Frotteesocke einläuft
Gesucht wird viel im deutschen Fernsehen. Mit dem, was man dabei findet, ist niemand so recht zufrieden
Es war eine aufregende Woche für die Casting-Branche. Die No Angels haben sich nach drei Jahren voll Stress, Tränen und Babypausen aufgelöst, auf RTL ist „Deutschland sucht den Superstar“ in die zweite Runde gegangen, wobei Vanessa, eine Kandidatin aus der ersten Staffel, im Fahrwasser des neuen „DSDS“-Fiebers ihre Erfahrungen mit Sex und Drogen gebeichtet hat. Als Bonus zum anhaltenden Casting-Trend gab es von Robbie Williams ein ironisches Video zu seiner neuen Single „Something Beautiful“, in dem drei Durchschnittstypen von Tanztrainern und Body-Stylisten für eine Fernsehshow vorbereitet werden, in der das Publikum den besten Robbie-Imitator wählen soll. Tatsächlich sieht der pummelige junge Mann, der am Ende des Clips gewinnt, dem echten Sänger zumindest ein bisschen ähnlich.
Im Englischen hat das Wort „Casting“ eine Reihe erstaunlich hübscher Bedeutungen. Das Schmelzen von Eisen gehört dazu, aber auch das Auswerfen einer Angel. Im Bild des Fischers, der still und genügsam auf das Wasser starrt, bis vielleicht nach Stunden ein Fisch an seiner Leine zieht, kommt zumindest etwas von der Vorstellung zum Ausdruck, die sich auch Künstler der Moderne von ihrer Arbeit gemacht haben. „Ich suche nicht, ich finde“, war eine Devise, nach der Pablo Picasso Tag für Tag auf die Farbtube gedrückt hat, bis Friedenstauben oder Knollennasen herauskamen.
Mittlerweile wird nur noch gesucht. Denn mit dem, was man dabei findet, ist niemand recht zufrieden. Den frisch ermittelten Superstars bleibt keine Zeit, ihre 15 Minuten an Berühmtheit auszukosten oder sich gar eine Karriere aufzubauen. Schon werden neue Staranwärter nachgeschoben, die ihnen den Thron streitig machen sollen. Der Run ist groß, auf allen Kanälen buhlen mittlerweile dutzendweise bessere Karaoke-Laien um Aufmerksamkeit. Daneben nimmt sich selbst eine badische Weinkönigin als respektable Glamour-Queen aus, die zudem für immerhin ein Jahr regieren darf. Daniel Küblböck aber muss schon nach wenigen Monaten auf Ochsentour, er muss auf dem Sender, dessen Schätzchen er eben noch war, aus seiner Biografie genau die Stellen vorlesen, in denen er über Alkoholprobleme, Männergeschichten und die Herzlosigkeit seiner Mutter klagt. Damit ist er wieder in den Niederungen des alltäglichen Losertums angelangt, mehr Sozialstudie als Starstatus.
Vielleicht sind die Casting-Sendungen aber auch erst mit der Demontage ihrer Schützlinge am Ziel. Der Absturz wäre dann eine Bestätigung dafür, dass hier nicht das bislang unentdeckte, aber doch herausragende Talent gefeiert werden soll, sondern nur unter den verschärften Bedingungen des Wettkampfs ans Licht gefördert wird, was ansonsten ebenso gut in den Talkrunden des Privatfernsehens zum betrüblichen Alltag der Normalos zählt. Auch die Kaputten bei „Vera am Mittag“ sind ja aus dem Pool an gescheiterten Existenzen handverlesen herausgepickt worden von ehrgeizigen PraktikantInnen, bei denen die Schrägheitsglocke klingelt, wenn sich ein 50-jähriger Frotteefetischist meldet, dem gerade seine liebste Socke im Waschcenter eingelaufen ist.
Dass man allerdings auch auf umgekehrtem Wege immer noch zu einiger Prominenz gelangen kann, zeigt der kometenhafte Aufstieg von „Florida-Rolf“, der binnen weniger Wochen vom grau melierten Privatier in den USA zum deutschlandweit geächteten Schmarotzer No. One wurde. Rolf ist ein Avantgardist alter Schule: Still und genügsam hatte er die Angel ausgeworfen, hatte gewartet, bis ihm die Sozialhilfe von einem wegen der Aktenlage überforderten Beamten aufs Konto überwiesen wurde, und war dann als Lebenskünstler mit der Kohle ab nach Süden.
Seit Bild die fraglos schillernde Ausnahme im Fürsorgealltag zum Skandal um die Verschwendung von Steuergeldern hochgejazzt hat, reißen sich die Kamerateams um Rolf: Mal ist er am Strand zwischen lauter Bikinipos zu sehen, wie er melancholisch aufs offene Meer blickt; mal darf er sich in Großaufnahme an einem besonders leckeren Früchtekorb bedienen und kraftvoll in eine Papaya oder was Ähnliches beißen. Plötzlich ist Rolf selbst ein Superstar, der vermutlich jederzeit bei Nissan, Saturn oder Müllermilch als krass durchtriebener Schnorrer einen Werbevertrag unterschreiben könnte, getreu dem Motto, dass nicht Geiz geil ist, sondern Beschiss. Womöglich reicht der entsprechende Deal sogar für eine anständige Rente. Bis es bei Daniel Küblböck endlich so weit ist, muss er voraussichtlich noch eine ganze Weile auf RTL weinen.
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