grüne woche : Die Fressmesse unterm Funkturm ist eine Schnelldiät fürs Portemonnaie
Die jüngsten der Besucher erfreuen sich eher an sprechenden Karotten als an echten Kühen mit feuchten Nasen
„Mal so richtig die Wampe voll schlagen“ – das wollte Martin Sauer eigenen Worten zufolge auf der Grünen Woche. Doch der 59-Jährige aus Märkisch Buchholz ist enttäuscht. „Hier ist die Portion Schupfnudeln ja teurer als auf dem Jahrmarkt“, flucht der Messebesucher. Er begnügt sich mit einer Schmalzstulle für einen Euro. „Das hatte ich mir echt hier anders vorgestellt.“
Es gibt ein Gerücht, das sich jedes Jahr aufs Neue hartnäckig zu halten scheint: Auf der Grünen Woche könne man schlemmen, bis man umfällt. Theoretisch ist das zwar möglich, angesichts von 1.610 Ausstellern aus 52 Ländern, die insgesamt über 100.000 Spezialitäten präsentieren – aber nur, wenn man vorher am Bankautomaten auch die entsprechende Summe Bares abgehoben hat.
100 Gramm belgische Pralinen kosten 8 Euro. Ein Fischhändler versteigert einen sibirischen Stör für 26 Euro. Und selbst für eine lieblos gebrutzelte Berliner Bärlauchwurst muss der Messebesucher 4,50 Euro blechen. „Mit diesen Preisen wollen die uns wohl auf Diät setzen“, schimpft Sauer.
Überhaupt: Eine „Fressmesse“ scheint die Grüne Woche nicht mehr zu sein. Natürlich strömen nach wie vor Tausende in die Hallen am Funkturm, um sich bei zünftiger Blasmusik und mildem Kuhdunggestank auf kulinarische Weltreise zu begeben. Neben italienischem Barolo-Käse und vietnamesischer Drachenkaktusfrucht ganz oben auf der Beliebtheitsskala: fränkischer Leberkäs und mecklenburgische Backfischbrötchen. Begeisterung löst auch die Belper Knolle aus, ein sehr würziger Käse aus der Schweiz, bei dem man nach einem Happen bereits das Gefühl hat, einen ganzen Topf Käsefondue vertilgt zu haben. Doch die Leckereien sind längst nicht mehr zentral auf der Verbrauchermesse. Ulrich Hofer (42) ist „wegen der Halle für Angel- und Jagdzubehör“ hier. Sabine Mierer (46) hielt sich besonders lange vor den Dampfreinigern in Halle 7.1a auf. Und ihre Begleiterin (43) zeigt sich begeistert über die Sonderschau „Wellness Plus“. Ihr Mann und sie würden bereits seit einiger Zeit erwägen, einen Whirlpool mit Hydromassage auf der Gartenterrasse aufzustellen, erzählt sie. In dem heißen Wasser könne man selbst an kalten Winterabenden liegen. Halle 2.1 ist voll von diesen überdimensionierten Badewannen.
Am Rande spielt die Landwirtschaft aber durchaus noch eine Rolle auf der Messe, die in den 20er-Jahren einst als „Warenbörse“ für Bauern und Gärtner gestartet war. Und zwar nicht nur für Stadtmenschen, die mal mit ihren Kindern den dicken Euter einer Holstein-Kuh streicheln wollen. Es gibt sie noch, die etwas weniger frequentierten Nebenhallen mit den neuesten Errungenschaften im Bereich der Traktorindustrie. Und in der Tierhalle 25 finden sich keineswegs frisch geborene Eisbärenbabys oder süße kleine Siamkätzchen. Marisha, Elena und Hillary sind gigantische Milchkühe aus dem nordhessischen Witzenhausen. Und die wenigsten vorbeilaufenden Kinder haben das Bedürfnis, die nassen Schnauzen dieser Haustiere zu betätscheln.
Dafür darf sich das junge Publikum an sprechendem Gemüse erfreuen. In Halle 9c locken menschengroße Karotten und Gurken die Kinder herbei, um mit ihnen spielerisch über gesundes Gemüse, Bewegung und die Qualität von Nahrungsmitteln zu diskutieren. Das Angebot wird von den Kindern mit Begeisterung angenommen.
Unbeachtet bleibt einzig der Pavillon des chinesischen Landwirtschaftsministeriums. Vielleicht liegt das an der Übersetzung. „China ist große Agrarstaaten dass hat 1.300.000.000 Bevölkerung. Die Landwirtschaft ist das eine Volkswirtschaftsleben“, steht auf einer der Schautafeln geschrieben. Auf Anfrage erklärt eine Standbetreuerin, was die Tafeln wirklich sagen sollen: „Wir meinen es ernst mit der agrarpolitischen Wende.“ FELIX LEE