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großraumdiscoEine schier endlose Weite, gut für allerlei Aktivitäten und auch Nichtstun

Hier kann man Italo Disco hören oder man übt Ausdruckstanz, fährt Rad, joggt, chillt: Das Tempelhofer Feld ist Berlins Freiraum. Und es ist bedroht

Ein DJ legt Discomusik auf, Maikäfer flattern unkoordiniert herum und kollidieren mit Tanzenden. Über deren Köpfen stemmt sich ein Vogel gegen den Wind und bleibt sekundenlang in der Luft stehen. Man blinzelt in die Richtung, in der gerade die Sonne untergeht, und ist einmal mehr erstaunt, dass man sich hier gerade mitten in Berlin befindet, angeblich ja eine Großstadt, wovon aber weit und breit nichts zu sehen ist. Stattdessen blickt man auf eine schier endlose Weite, auf das Tempelhofer Feld, die größte innerstädtische Freifläche der Welt.

Drei Tage lang geht dort am vergangenen Wochenende das Festival, an dem zig DJs so Sachen wie Balearic Beats, Italo Disco und Dub auflegen. Von mittags bis abends, um 22 Uhr ist jedes Mal Schluss, eine Stunde später werden die Zugänge zum Feld gesperrt, und die Maikäfer können endlich wieder herumflattern, ohne dabei auf menschliche Hindernisse zu stoßen.

Das Ganze findet statt an einem Ort, der sich Plattenvereinigung nennt und Teil eines Projekts der Technischen Universität Berlin ist, das sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt.

Aus alten Plattenbauteilen wurde dafür ein Recyclinggebäude erstellt, inzwischen ist es von oben bis unten mit Graffiti versehen, und im Inneren gibt es eine Kunstausstellung.

Die dort gezeigten Bilder sind aber nicht ansatzweise so bunt wie das Treiben, das draußen auf dem Weg zur Plattenvereinigung auf dem Feld zu sehen ist. Man kommt vorbei an einer Gruppe, die sich unter Anleitung am Ausdruckstanz versucht. An Inlineskatern, Fahrradfahrern, Joggern und Kiffern, die wissen, dass sie überall sonst in der Stadt Probleme mit ihren Joints bekommen könnten, weil in der Nähe ja eine Schule oder Kita sein könnte. Hier aber ist weit und breit gar nichts.

Seit 15 Jahren gibt es nun das Tempelhofer Feld. Plötzlich war es da mit dieser Leere, was davor das Flugfeld des Flughafens Tempelhof war. Den brauchte man nicht mehr, als sich abzeichnete, dass die Stadt bald einen neuen bekommen würde.

Schon lange vor der Schließung des Flughafens wurde ausgiebig eruiert, was nun aus dem ehemaligen Flugfeld werden soll. Viele Millionen Euro wurden versenkt in Planungsbüros und bei Ideenwerkstätten. Die Vorschläge reichten von einer Seenlandschaft, die hier entstehen könnte, bis hin zu einem tausend Meter hohen Berg, von dem ein Künstler träumte, dem Mount Tempelhof oder so.

Am Ende aber hatte eine Berliner Initiative die beste verrückte Vision von allen: Wir lassen einfach alles mehr oder weniger so, wie es ist. Bei einem Volksentscheid 2014 konnte sich auch eine Mehrheit der Berliner und Berlinerinnen für diesen Vorschlag erwärmen, und so kam es, dass bis heute so gut wie nichts auf dem Feld gebaut wurde. Selbst die Plattenvereinigung ist ja eher ein Pop-up-Gebäude als ein echtes Bauwerk. Nun hat sich hier in den letzten Jahren das Acker-Filzkraut ausgebreitet und fühlen sich die Heidegrashüpfer und Steinschmätzer wohl.

Das Tempel­hofer Feld hat eine Fläche von rund 300 Hektar. Der Flugbetrieb dort wurde 2008 eingestellt, der Park am 8. Mai 2010 eröffnet. Gleich am ersten Wochenende erfreuten sich rund 235.000 Be­suche­rIn­nen an der freien Weite.

Damit könnte die Geschichte, die fast wie ein kitschiges Märchen klingt, eigentlich enden. Damit, dass die Berliner Politik den Willen der Bevölkerung exe­ku­tiert und ein Naherholungsgebiet und eine Begegnungsstätte ermöglicht hat, was es in dieser Form und Dimension nirgendwo sonst in der Welt gibt.

Aber wir leben eben nicht im Märchen. Bei der SPD und der CDU, die gemeinsam gerade die Regierung in Berlin stellen, hat es immer schon gegrummelt wegen des Volksentscheids. Ein wenig, wenigstens an den Rändern dieser gewaltigen Fläche, müsse es doch möglich sein, ein paar Wohnungen zu bauen. Und dazu vielleicht noch eine Kita, eine Schule und mal schauen, was man sonst noch so braucht.

Und nun soll es nach Wunsch der Berliner Regierungskoalition genau so kommen: Es soll gebaut werden. Aktuell steckt man mittendrin in Beteiligungsprozessen und Dialogveranstaltungen, man will die Menschen schließlich irgendwie mitnehmen bei den Plänen. Noch ist nichts beschlossen, aber es muss damit gerechnet werden, dass diese unendliche Fläche schon bald geschrumpft wird.

Auf dem Feld fühlen sich auch die Heidegrashüpfer und Steinschmätzer wohl

Andreas Hartmann

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