große koalitionen, kanzlerinnen etc. : Hochgekrempelte Ärmel
Es wird beim Konsensherstellen noch mehr intrigiert werden. Auch ein Beitrag zur Aufklärung über Politik und ihre Notwendigkeiten
Ein hübsches Spiel, dieses allgemein anhebende Spekulieren über mögliche schwarz-rote Kabinettslisten. So ähnlich müssen sich Bob Dylan und George Harrison gefühlt haben, als sie überlegten, wen sie noch zu ihrer All-Star-Band Travelling Wilburys hinzubitten sollen. Wie es bislang aussieht, wird es hinter der Frontfrau wohl eine politische Band gegerbter CDU/CSU- und SPD-Herren werden, die mit allen Wassern gewaschen sind. Und man kann sich schon fragen: Ist das nun also die neue Neue Mitte oder doch die Alte Mitte der Bundesrepublik? Und wie steht es um die sich selbstverständlich sofort anschließende Frage, ob sich mit so einer Konstruktion die Probleme dieses Landes bearbeiten oder überhaupt erst die richtigen von den falschen Problemen scheiden lassen?
Letztlich will man als naturgemäß stets auch neben den Dingen stehender Feuilletonist den Leitartiklern nicht ins Geschäft pfuschen. Aber unterstreichen möchte man schon einmal den Gedanken, dass sich die große Koalition – wenn sich der Pulverdampf ums Königsdrama gelegt hat – nur als Problemlösungsagentur profilieren kann. Merkel hin oder her: Ein Unterschied zu den vorangegangenen Machtwechseln zeichnet sich nämlich jetzt schon ab. Diese Koalition steht jenseits der Sphäre von moralischen Wenden (wie 1982) oder politischen Projekten (wie 1998). Das Symbol der Regierung Merkel werden die hochgekrempelten Ärmel sein. Das geht gar nicht anders – das technokratische Problemlösungsmanagement ist schlicht der kleinste gemeinsame Nenner von Stoiber/Schäuble und Schily/Müntefering.
Es gibt noch einen zweiten Aspekt, der derzeit noch von der Kanzlerin etwas verdeckt wird. Er betrifft die Rahmenbedingungen des Regierens. Und zwar zwingt der Wählerwille diesmal die Politiker der großen Parteien dazu, das politische Konsensmodell – wirklich ein Baustein der Mitte dieser Republik – vollkommen offen zu legen. Schon die letzten Regierungen hatten bei der Konsensproduktion vor allem Probleme mit sich selbst, diese Schwierigkeiten werden diesmal noch durchsichtiger und der Öffentlichkeit noch zugänglicher sein. Sprich: Es wird beim Konsensherstellen noch mehr intrigiert und gequatscht werden als zuletzt schon. Auch ein Beitrag zur Aufklärung über Politik und ihre Notwendigkeiten.
Die Politiker der kleinen Parteien zwingt der Wählerwille aber, neben dieses Konsensmodell auch ein Dissensmodell zu stellen. Die drei Oppositionsparteien müssen sich nicht nur von der Regierung, sondern viel mehr auch noch voneinander unterscheiden. Auch diese Herstellung von Dissens wird vollen Einsatz erfordern. Vielleicht also wird die Realität sogar noch bunter, als jetzt schon die Spekulationen um sie sind. DIRK KNIPPHALS