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groß in singapurDer Osten ist rot: Themenläden und andere Trends

China Jump

„Mit leerem Bauch kann man keine Revolution starten.“ Das Mao-Zitat prangt auf einem Banner in einem modernen Restaurantkomplex in Singapurs bunt restaurierter Chinatown. Über mehrere Etagen hängend, weist es den Weg ins obere Geschoss – zum „House of Mao“, einem Themenrestaurant ganz eigener Art. Am Eingang begrüßt die Kellnerin den Gast in der grünen Uniform der Rotgardisten und mit flottem Mao-Gruß. Gedichte des Großen Vorsitzenden zieren die Speisekarte mit Gerichten aus dessen Heimatprovinz Hunan. Aus den Boxen säuseln chinesische Propaganda-Schlager. Und wem der Witz nach dem Essen noch nicht auf den Magen geschlagen ist, der kann am Tresen Mao-Uhren, -Plaketten und andere Memorabilien erstehen.

„Das House of Mao“ ist beliebt, vor allem chinesische Familien scharen sich rund um die großen Tische. Als Westler wundert das einen schon: Angenommen, es gäbe die DDR noch, die Sowjetunion, den gesamten Ostblock – wären Ostalgie-Partys dann der gleiche Renner geworden, der sie nach der Wende waren? Wäre das ironische Spiel mit kommunistischem Chic auch dann en vogue, wenn der Warschauer Pakt noch existierte? Und würden US-Touristen am Brandenburger Tor mit der gleichen Unbekümmertheit russische Fellmützen und Medaillen der Sowjetarmee erstehen, wie sie das heute tun?

Nun, in China jedenfalls ist die Kommunistische Partei noch immer am Ruder. Aber der Ausverkauf des materiellen Erbes des Kommunismus ist längst in vollem Gange. Und was gerade auf den Flohmärkten der Volksrepublik verramscht wird, dient als Inspiration für Restaurantdekor und Clubdesign. Dabei gerät einiges durcheinander, was sich, historisch gesehen, eigentlich ausschließt: etwa Plakate aus dem Shanghai der 30er-Jahre, auf dem mondäne Kalendergirls für Coca-Cola oder Zigaretten werben, und Propaganda-Poster aus der Zeit der Kulturrevolution, die mit solch dekadent-westlicher Lebensart bekanntlich kräftig aufräumte.

Aber egal. In Singapur geht man mit solchen Gegensätzen ganz sorglos um. Neo-Orientalismus heißt der Trend, der sich seit einiger Zeit in der Gastronomie-Inneneinrichtung niederschlägt. Im „China Jump“ etwa, einer Diskothek im Fountain Court, einem eleganten Innenhof aus der Kolonialzeit, tanzt man zu aktuellen Hitparaden-Klängen, aber sitzt in erhöht in die Wand gelassenen Nischen, in Holzkabinen, die an schummrige Bordell-Séparées aus dem alten Shanghai erinnern. Ähnlich anrüchig, wenn auch nur auf den ersten Blick, wirkt das Ambiente im „Tajie“, einer populären Adresse auf der Mohammed Sultan Road, Singapurs Partymeile: Hier diente ein Opiumkeller als Vorlage. Eine Tür weiter hat der Finanzjournalist Peter Wong ein ehemaliges Reislagerhaus zum Club umbauen lassen. Im „Madam Wong’s“ werfen chinesische Laternen dämmriges Licht auf die Tanzfläche, auf der ein paar Girlies ihre Hüften und Handtaschen wirbeln, während sich Singapurs Nachwuchs-Yuppies auf den Couch-Sofas fläzen und ihre Mobiltelefon-Funktionen vergleichen.

Low yuen Pin, Chefredakteur des Lifestyle-Magazins east, sieht dieses China-Revival als Teil eines globalen Phänomens: „Singapur hat die Phase der kompletten Verwestlichung durchlaufen. Jetzt besinnt es sich auf seine asiatische Vergangenheit, um damit westlich-moderne Bedürfnisse zu bedienen“. Ein Trend, der sich auch in Hongkong bemerkbar macht. Dort eröffnete der Unternehmer David Tang vor ein paar Jahren die Boutique „Shanghai Tang“. Das Konzept sorgte für Aufsehen: Anzüge mit Stehkragen und Seidenkleider, ganz dem Stil der 30er-Jahre nachempfunden, dargeboten in altmodisch gediegenen Geschäftsräumen im Stadtzentrum. Passenderweise konnte Shanghai Tang die Schauspielerin Gong Li als Model für seine China-Couture gewinnen, inzwischen besitzt der Laden sogar eine Filiale in New York. Nur auf dem Festland ist das ironische Spiel mit dem kulturellen Erbe noch nicht so recht angekommen. Low Yuen Ping glaubt, dass dies auch noch dauern wird. „Auch wenn manche Ecken in Peking schon so aussehen wie Hongkong: Es wird noch einige Zeit dauern, bis China dieses Stadium erreicht“.

DANIEL BAX

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