gottschalk sagt : Schlehengeist oder Mavrodaphne
Ich freue mich schon auf die Wahl. Nächsten Samstag werde ich zeitig ins Bett gehen, damit ich Sonntag ausgeruht bin. Ich hoffe, dass ich trotz der Aufregung schlafen kann, immerhin ist es eine Schicksalswahl. An Abenden vor Schicksalswahlen sollte man sein gutes Hemd und eine vernünftige Hose (Frauen: Kostüm mit Bluse und Halstuch) schon vor dem zu Bett gehen ordentlich über die Lehne des Schlafzimmerstuhls hängen. Sonntag früh werde ich mich rasieren, reichlich mit Herrenparfum einsprühen und vielleicht auch ein seidenes Halstuch zum Hemd tragen. So sähe ich aus wie ein Sozialdemokrat mit Segelboot oder ein schöngeistiger, verwitweter Schreibwarenladenbesitzer mit verdrängten homosexuellen Neigungen, der CDU wählt.
Weil diese Wahl so etwas besonderes ist, habe ich mir auch etwas Spezielles ausgedacht. Ich wähle nicht stumpf, was ich immer wähle, nein, ich benehme mich wie ein gut informierter Vorzeige-Demokrat, der die Programme der Parteien gewissenhaft studiert und sich überlegt hat: Was ist gut für Deutschland? Wie kommen wir aus dem Jammertal? Wie können wir erreichen, dass mehr gut ausgebildete Frauen geschwängert werden? Und dann noch die Arbeitslosigkeit. Und die Parteien? Die einen sagen so, die anderen sagen so. Deshalb werde ich meine Erststimme einer anderen Partei geben als meine Zweitstimme. Das habe ich noch nie gemacht und ich finde es total sophisticated.
Außerdem sind sehr gute Kombinationen denkbar, Meinungspakte sozusagen. Zum Beispiel das „Brigitte“-Wohlfühlpaket für die gut situierte Vorstadthausfrau: Erststimme „Die Grünen“, wegen der Umwelt und Zweitstimme (die Kanzlerinnenstimme) CDU, weil sie eine Frau ist. Oder die Lösung für den frustrierten arbeitslosen Bergmann: SPD aus Familientradion und NPD wegen der Ausländer. Die Bayern haben‘s gut, sie können die Erststimme der APPD geben („Saufen, saufen, saufen“), die Zweitstimme der CSU („...und dann mit dem Auto nach Hause fahren“).
Am Wahlabend dann sollte man mit seinem Partner oder seiner Partnerin ab 18 Uhr vor dem Fernseher sitzen und direkt zu den ersten Prognosen das erste Glas Mavrodaphne oder auch Schlehenfeuer trinken, so dass man bis zur Elefantenrunde zwischen Unflätigkeit und Selbstmitleid schwankt. So geht ein großer Tag zu Ende.
Fotohinweis: Christian Gottschalk lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz nrw