gottschalk sagt : „Since five years I didn‘t any arts!“
Neulich war ich in der Hauptstadt. In Berlin! Wir Kölner behaupten ja immer steif und fest, wir täten in einer Großstadt wohnen, der ganze Rest des Bundeslandes hingegen sei tiefe Provinz, wo der Cappuccino immer noch mit Sprühsahne serviert würde, die Grünen auf dem Hollandrad strickend zum Rathaus führen, der Schützenkönig vielerorts die Legislative darstelle und archaische Traditionen gepflegt würden, bei denen man meistens Gummistiefel trüge und ein Schnapsglas um den Hals hängen habe. Und wir kennen uns da wirklich aus, die meisten Kölner und Kölnerinnen kommen schließlich „da wech“, wie der Westfale sagt. (Und das ist gut so, schließlich wäre Köln, nur von Kölschen bevölkert, genauso unerträglich wie Berlin, wenn nur Berliner dort wohnten).
In der Hauptstadt verwandelte ich mich in einen staunenden Provinzler. Die Soko Graffiti würde dort Herzklabastern kriegen, alles beschmiert. Vom pulsierenden Nachtleben bekam ich gar nichts mit, weil ich es nicht geschafft habe, so lange aufzubleiben! In Kreuzberg sagen sich Weinläden und Wettbüros gute Nacht, in freundlichen, karg ausgestatteten Wirtschaften sitzen ausländische Künstler ihre kreative Krise aus („Since five years I didn‘t any arts!“), und immer noch tragen die Polizei-Mannschaftswagen stolz die Beulen vergangener Kämpfe zu Markte. Das ist eine Großstadt!
Per Definition gibt es in NRW dreißig Großstädte, weil jede Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern sich so nennen darf. Hallo Bergisch Gladbach, Bielefeld, Bonn, Gelsenkirchen, Leverkusen und Witten. Ich finde, man sollte die Latte da höher legen, die Einwohnerzahl darf nicht das einzige Kriterium sein.
Eine echte Großstadt braucht: Mindestens eine richtig miese Gegend mit hoher Kriminalität, persische Taxifahrer, einen Ort, an dem irgendwann mal eine später (oder früher mal) international bekannte Punkband gespielt hat, Graffiti, mindestens eine Brauerei, Parkplatzprobleme in der Innenstadt, mehr als eine Autobahnabfahrt, Friseurläden mit originellen Namen („Haar-Klein“ usw.), eine Gegend mit mehreren Kneipen, die von Studenten „Bermuda-Dreieck“ genannt wird, schwule Sexshops, ein Programmkino, einen ordentlichen Preiskampf im Döner-Sektor, mindestens zehn Telefonshops und eine eigene Tageszeitung.
Oder so ähnlich. Wahrscheinlich habe ich gerade ziemlich genau Marburg beschrieben. Die haben nicht mal achtzigtausend Einwohner. Aufgabe: Denkt Euch selber Kriterien aus und diskutiert sie in Eurer Gruppe.
Fotohinweis: Christian Gottschalk lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz nrw