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Archiv-Artikel

gestreift von teufel alkohol von TOM WOLF

Filmriss. Die Glieder schwer, wankte ich über die dunkle Asphaltpiste. Lichter, Gehupe. Wo kamen nur all die Autos her, wohin wollten sie, um zwei Uhr in der kühlen Nacht? Wohin?

Ich hob mein 220 Kilo schweres Motorrad eigenhändig auf und bettete es am Straßenrand, es sah seltsam verändert aus, vorne so verkrumpelt, als wäre ein Laster drübergefahren. Wo war die rote Verkleidung, wo die kleine Windschutzscheibe, wo waren Scheinwerfer, Blinker, Tacho und Drehzahlmesser? Wo?

„Ihren Namen bitte!“, sagte der Polizist, der unterdessen hinzugetreten war. „Tja …“, entgegnete ich in meiner gesprächigen Art. Etwas hatte mich aus der Bahn geschleudert, ich wusste nicht, was. Na doch hoffentlich nicht das, was da hinten gerade von einem Rettungswagen abtransportiert wird, dachte ich. Da lag bis eben noch was unter einer weißen Plane – Schock! Scheiße, jetzt haste was totgefahren. Wenn man es allerdings mit Blaulicht wegfuhr, konnte es ja nicht tot sein, beschwichtigte ich mich selbst. War vielleicht nur eine Katze? Aber Quatsch, ’ne Katze im Rettungswagen …

Die Knie wurden mir so weich, ich war durchnässt und an den Beinen so klamm, als hätte ich mich bepisst. Hatte ich aber nicht, war nur der Regen. „Also ich glaube, ich werd Ihnen mal den Ausweis zeigen. Keine Ahnung, was passiert ist. Sagen Sie’s mir, bitte!“ Ich hätte einen erwischt, hieß es. Aha. Einen Menschen?

Die Polizei waltete rasch und wortkarg ihres Amtes. Personalausweis einscannen, nachfragen. „Amnesie. Alles klar.“ Fand ich gar nicht. Mein Hals fühlte sich an wie durchgehackt. Ein Rettungssanitäter schraubte ein Metallgestell dran, damit der Kopf nicht abfiel. Mit viel Drehlicht und Sirenengesang ins Krankenhaus.

Der Doktor deutete an, dass der Mensch, dem ich auf so unheimliche, unbewusste Weise begegnet sei, auf die Fahrbahn in den Fließverkehr „geschlendert“ war. Jetzt wäre da eine Schramme an seinem dicken Kopf, denn ich hätte ihn nur gestreift, sonst wäre er wohl tot. Mein Helmvisier war gespalten, vom harten Aufschlag meines Kopfes. Aber ich zeigte mich nüchtern und allseitig orientiert. „Und der unter der Plane?“ – „2,5 Promille. Unter der Plane hat er wegen der Kälte gelegen. War nach dem Sturz so alle, dass er nicht mehr laufen konnte.“

Auch mir ermöglichte Chemie aus dem Hause Bayer schon bald wieder die selbständige Fortbewegung. Ich ruckelte die Überreste meiner Maschine in die Werkstatt: ein unförmiger Metallklumpen mit zwei Rädern. Aber der Motor lief, und statt zu lenken, was nicht ging, legte ich mich mit schmerzender Wirbelsäule in die Kurve.

Sechseinhalb Monate später kam mein geliebtes Gefährt aus der Zweiradklinik. Um nichts in der Welt werde ich mich von ihm je wieder trennen. Viel besser sieht es jetzt aus, „nicht mehr so tufflig“, sagt eine stets stichelnde Beobachterin meines Fetisch-Gehabes. Hat mich zwar bleibendes Ohrensausen und nächtliche Lichtblitze in den Augen gekostet, aber, ungelogen: Der Besoffene hat mir zu einem ganz neuen Fahrgefühl verholfen – was für’n affenscharfes Motorrad! Fremdalkohol sei’s gedankt.

Bald darf ich auch die Halskrause abnehmen.