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Archiv-Artikel

geistiger austausch im rokokokostüm von EUGEN EGNER

Mein alter Freund Trutzhahn ertrug den ungeheuer angewachsenen Innendruck seiner Kultiviertheit nicht länger; er bedurfte dringend des geistigen Austauschs. Ich kam dafür ebenso wenig in Frage wie seine Ehefrau, also gab er eine Zeitungsannonce auf. Wie er mir später erzählen sollte, meldeten sich darauf ein gealterter Delikatesswarenhändler und ein selbst ernannter Dichter. Beide luden Trutzhahn zu sich nach Hause ein. Der Delikatesswarenhändler empfing ihn im Rokokokostüm mit gepuderter Perücke. Alles in seiner Wohnung war mächtig stilvoll, bei lieblicher Tafelmusik ward mein alter Freund üppig bewirtet. Das Gespräch war überaus geistvoll zu nennen, nach dem Essen wurde der Gepuderte aber leider unangenehm. Er rückte auf dem Sofa, das man zum Plaudern aufgesucht hatte, immer näher an Trutzhahn heran, bis dieser aufstehen musste. Danach wurde es nicht besser. Der Delikatesswarenhändler faselte von Araberknaben, wollte seinem Gast Karajan-Schallplatten mit Widmung aufschwatzen und versuchte penetrant, ihn dazu zu bewegen, über Nacht zu bleiben oder doch wenigstens ein Bad zu nehmen. Der Gast musste ganz dringend nach Hause.

Der Dichter war ebenfalls ein Reinfall. Freund Trutzhahn, der eigens in die Stadt gereist war, wo der Mann wohnte, saß einen Abend lang bei ungenießbarem Rotwein („aus vielen Ländern der EG“) auf dem Fußboden einer maßlos abstoßenden Wohnung. Es waren mehrere unerfreuliche Personen anwesend. Sehr übel stieß dem armen Trutzhahn eine jüngere Frau auf, die im Vollrausch kulturelle und historische Wertungen vornahm. „Filme mit Kostümen“ fand sie pauschal „doof“. Hitler hingegen nötigte ihr Respekt ab, weil der, wie sie angab, „kein Spießer“ gewesen sei (ein fataler Irrtum!) und „wenigstens was gemacht“ habe. Trutzhahns Protest wurde, bedingt durch die allgemeine Bewusstseinslage, nicht wahrgenommen. Von Inspiration heimgesucht, malträtierte der speckig-zottelige Dichter eine Wandergitarre und stieß unter Zuckungen jazzig gemeinte Laute aus. Seine spontanen Wortschöpfungen waren sowohl formal als auch inhaltlich stark dem Kinderreim verpflichtet. Obszönitäten nahmen überhand. Weil der ihm Nächstsitzende unterschiedliche Verdauungsgeräusche absonderte und darüber schallend lachte, begab sich Trutzhahn in die Küche, um nach Essbarem zu suchen. Von dem Wein war ihm schlecht, doch leider konnte der Zustand der Küche keine Linderung schaffen. Zudem kopulierten die Hitlerverehrerin und ein später hinzugekommener Herr unter dem Resopaltisch. Da lief mein alter Freund Trutzhahn davon.

Er mochte nicht auf den nächsten Zug nach Hause warten, sondern nahm ein Taxi. Seine entrüstete Ehefrau berichtete mir später, er habe den dreistelligen Betrag für die Heimfahrt am nächsten Tag aus der Haushaltskasse entwendet, um seinen Taschengeldverlust auszugleichen. Anschließend habe er sich telefonisch seiner Mutter gegenüber beschwert, das Essen, das seine Gattin ihm derzeit „hinstelle“, sei „auch nicht das Wahre“.