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galerie: Blake & VargasOrganlose Körper

Installationsansicht „Speaking in Tongues“ Foto: (c) Blake & Vargas, Berlin

Diese Pandemie, könnte man sagen, ist ein Zurückwerfen auf unseren Körper. Wahrscheinlich war uns nie so bewusst wie jetzt, welche gesellschaftliche Auswirkung allein die Bewegungen von Händen, Mündern und Nase haben können. Mit Sehnsucht liest man da die Worte des Dramatikers Antonin Artaud von 1947: „Wenn Du ihn zu einem Körper ohne Organe gemacht haben wirst, wirst Du ihn von allen automatischen Reaktionen befreit und ihn zu seiner wahren Freiheit wiederhergestellt haben.“ Ar­tauds organloser Körper beflügelt. Gilles Deleuze machte daraus in den 1960er Jahren einen festen philosophischen Begriff, im Französischen konsequent um möglichst viele Buchstabenorgane zum CsO reduziert (corps-sans-organes). CsO versteht den Körper auch als Spektrum, dessen Teile eben nicht so klaren Funktionen zugeordnet sind, wie sie jetzt wieder beim Mund-Nasen-Schutz zutage kommen. Umso mehr ringt einem bei Blake & Vargas nun die bronzene Nase ein Lächeln unter der eigenen Maske ab, denn hier funktionierte Angelika Loderer das Geruchsorgan zu einer Türklinke um. Eine fremde Nase zum Anfassen, zum Bedienen gar, nach 16 Monaten physical ­distancing? Ohnehin sind in der Gruppenausstellung „Speaking in Tongues“, die Pro­jekt­raum­be­trei­be­r:in­nen Sarah Bernauer und Matthias Last um das Konzept des corps-sans-organes anlegten, viele Körperteile, die wir aus dieser Nähe nur selten betrachten: Bernauer malt eine bläuliche Covid-Lunge, David Schiesser lässt auf einem Aquarell aus dem Inneren seines Mundes schauen, und Christian Hoosen zeigt auf 1,50mal 1,20Meter einen „Blick aus meinem Arsch“. Berührungsängste mit dem Körper werden in dieser kleinen, aber anspruchsvoll zusammengestellten Ausstellung, in der auch die einst zensierten, erotisch-feministischen Künstlerinnenbücher von Dorothy Iannone aus den 1970er Jahren zu sehen sind, zumindest bildlich überwunden. Vielmehr fängt der Körper hier an zu fließen: Una Szeemann etwa lässt ein Seil uneindeutig zwischen Organ, Fetisch- und Nutzobjekt im Raum oszillieren, und Carolin Eidner zeigt den weiblichen Körper als uneindeutige Silhouette, aus deren rosa Linien sich ein raubender T-Rex abzeichnet. Sophie Jung

Blake & Vargas, „Speaking in Tongues“ mit Anna Lena Grau, Nat Marcus, Lotte Meret, Young Boy Dancing Group u. a.

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