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Archiv-Artikel

frau schwab lernt polnisch (4) Die Stunde der Erkenntnis

VON WALTRAUD SCHWAB

Die taz macht fit für den EU-Beitritt Polens am 1. Mai: Lernen Sie Polnisch an der VHS Mitte mit Artur Kolasiński (Lehrer) und der Reporterin Waltraud Schwab (Schülerin). Die vierte Stunde:

Die Schauspielerin, die letztes Mal auftauchte und erzählte, dass sie in Prag eine polnische Amme gespielt habe, ist nicht wiedergekommen. Dabei war sie eine Erscheinung. Sie traute sich, Polnisch zu deklamieren mitten in das Volkshochschulklassenzimmer in der Linienstraße hinein. Unsere verblüfften Gesichter und die Wände, die vom Staub mehrerer Dekaden grau sind, waren ihr Kulisse genug. Ohne sie aber kommt niemand auf die Idee, die Rolle zu wechseln. Hier gibt es nur den Lehrer und uns, seine Zöglinge.

„Wie ist es Ihnen ergangen?“, fragt Kolasiński und bekommt viel tak, tak und dobrze, dobrze (sprich dobschä) – ja, ja und gut, gut als Antwort. Außer von mir, der Aussprachedilettantin. Mittlerweile aber habe ich einen Mitkämpfer. Thorsten heißt er. Ihm erschließt sich die Bandbreite der Zischlaute auch nicht. Am liebsten würde er die zweite Person Plural abschaffen. Kolasiński tröstet ihn. „Sollte ich mal beim polnischen Kulturministerium arbeiten, gehen wir das Projekt gemeinsam an.“

„-ecie“ lautet die Endung für Verben in der zweiten Person Plural manchmal. „Wy dziękujecie – ihr dankt“. Je nachdem, wer es ausspricht, höre ich „dschiängkujääschä“ oder „dschiängkujäädschä“ oder „dschiängkujäädschiä“. Als handele es sich bei der Aussprache doch um einen Selbstbedienungsladen.

Letzte Woche hat Kolasiński uns mit dem fünften Fall bekannt gemacht: dem Instrumental. Er soll uns endlich in den Stand versetzen, auch im nur 80 Kilometer entfernten Ausland intelligente, kommunizierende Wesen zu werden. Nur mit dem Instrumental können wir sagen, wer wir sind, was wir sind und wofür wir uns interessieren. Zum Beispiel Peter, mein Schulfreund: Er ist Journalist – dziennikarz (dschänniikarsch). Außerdem interessiert er sich für Bier – piwo. (Kolasiński interessiere sich auch dafür, gesteht er.) Will Peter sein Hobby auf Polnisch kundtun, braucht er dafür den Instrumental: Interesuję się piwem (intäräsujää schiä piwem) – Ich interessiere mich für Bier.

Thomas dagegen ist Kanadier – Kanadyjczyk. Dann ist er noch Diplomat – diplomata. Außerdem interessiert er sich für Urlaub – urlop. Sagen aber muss er: Jestem – ich bin – Kanadyjczykym. Jestem – ich bin – diplomatą. Dieser Satz ist der Knüller des Abends. „Jestem diplomatą“, sagt Thomas, der eindeutig eine männliche Statur hat, wenn auch etwas untersetzt. Leider jedoch muss er seinen Beruf weiblich beugen. Wörtlich übersetzt heißt das etwa: Ich bin eine Diplomat. Noch besser: Jeder Diplomat, der auf Polnisch sagen will, „ich bin Diplomat“, sagt in Wirklichkeit: „Ich bin eine Diplomat.“ Noch besser: Auch jeder Anarchist – anarchista, ist auf Polnisch „eine Anarchist“. Genauso ergeht es dem Kosmopolit – kosmopolita, dem Künstler – artista, dem Ökonom – ekonomista und allen anderen aus dem Griechischen abgeleiteten Eigenbezeichnungen. Das allerbeste demnach: Jeder Partriarch-patryarcha, der sagen will, „Ich bin Patriarch“, sagt in Wirklichkeit: „Ich bin eine Patriarch.“

Ich bin begeistert. Jahre feministischer Bildung haben mich veranlasst zu glauben, dass die Sprache exklusiv für Männer gemacht sei. Im Deutschen ist das so. Hier kann jeder werden, was er will. (Die Frau soll sich mitgedacht fühlen.) Im Französischen genauso: Chacun (nicht chacune) à son gout – Jeder nach seinem Geschmack. Im Englischen ist es nicht besser. Mankind – nicht womankind – survives. Die Menschheit, sprich Mannheit, überlebt.

Keine der Wissenschaftlerinnen, die mich auf den exklusiv-maskulinen Sprachgebrauch aufmerksam gemacht hat, war des Polnischen mächtig. Sonst hätte sie gewusst, dass unseren unterdrückten Seelen in dieser Sprache endlich Genugtuung gewährt wird. Hier ist der Patriarch in Wirklichkeit eine Patriarchin. Kolasiński bestätigt es: „Bei uns haben die Frauen die Hosen an“, sagt er. „Natürlich zeigen sie es in der Öffentlichkeit nicht, damit die Männer sich nicht bloßgestellt fühlen.“

Am Ende war die Freude allerdings doch nur von kurzer Dauer. Kommt ein Adjektiv zum Patriarch, wird dieses schon männlich gebeugt. Er ist ein guter Patriarch – on jest dobrym patryarchą – heißt wörtlich übersetzt etwa: Er ist eine guter Patriarch. Noch schlimmer wird es, wenn zwei Patriarchen zusammenkommen, erklärt mir der des Polnischen mächtige taz-Kollege Uwe Rada. Im Plural erlebten diese eine Geschlechtsumwandlung und würden – testosteronvervielfacht – doch wieder männlich gebeugt. Aber so weit sind wir noch nicht, der Plural kommt später.

Fragen? polnisch@taz.de