piwik no script img

Archiv-Artikel

frau schwab lernt polnisch (3) Die Stunde der Ernüchterung

von WALTRAUD SCHWAB

Die taz macht fit für den EU-Beitritt Polens am 1. Mai: Lernen Sie Polnisch an der Volkshochschule Mitte mit dem Lehrer Artur Kolasiński und der Reporterin Waltraud Schwab. Die dritte Stunde:

Es werden weniger: zwölf sind wir heute, von 17. Eine Frau ist neu. Veronika heißt sie, Schauspielerin von Beruf. In Prag hat sie eine polnische Amme gespielt. Mit ihrer donnernden Altstimme rezitiert sie für Kolasiński, unseren Lehrer, ihre Texte aus dem Film.

Kolasiński aber holt uns auf die Bühne der Tatsachen zurück. Dort spielen Verbkonjugation, Verneinung und Beugung die Hauptrollen. Letzte Woche haben sich Adjektiv und Substantiv noch aneinander orientiert, wie wir gezwungen werden uns zu erinnern. To jest nowa apteka – das ist eine neue Apotheke. Für eine Sekunde verleitet von der Hoffnung, es könne so bleiben, frage ich, ob das auch für die restlichen sechs Fälle gälte. „Um Gottes willen“, sagt Kolasiński, „dann wäre ich arbeitslos.“

Damit wir dennoch den Mut nicht verlieren, fragt er, wie unser Polnisch-Feeling heute ist. Zehn sind optimistisch, nur zwei gestehen, dass sich ihnen die Aussprache der verschiedenen Nuancen des Schi-schä-dschi-dschä-weich-hart-stimmhaft-stimmlos nicht erschließt. Ich bin eine von ihnen. Kolasiński will Abhilfe schaffen, wobei er den Verdacht hat, dass in Berlin tatsächlich etwas mit dem „Sch“ nicht stimmen könne, denn immer wieder höre er bei McDonald’s, wie Leute „Schicken-Schtäbchen“ ordern. Für Minuten demonstriert er uns die richtige Aussprache der Zischlaute. Er zieht sie lang, er haucht sie aus, er verkürzt sie zackig, er nimmt ihnen die Luft, er fragt, ob wir die Unterschiede hören. Ich höre sie nicht. Zur Zischlautübung dürfen wir in bereits vertrauter Manier die 300 Wörter lesen, aber dieses Mal will kein meditativer Singsang entstehen, der mich wegträgt. Vielmehr stolpere ich über „sztuka-mysz-duszny-zeszyt-zabytek …“ – (sprich: schtuuka-misch-duuschni-sääschit-sabitäk). Letzte Woche wurde mir „budynek“ zum Ohrwurm, „Gebäude“ bedeutet es, wie ich nun weiß, dieses Mal sinniere ich darüber, ob die Übersetzung des Wortes „zabytek“ mit der Bedeutung des Namens „Zapotek“ identisch ist. Ein Sportler soll das sein. Von dem hat mein Vater immer erzählt. Wie sich in der Pause herausstellt, waren meine Grübeleien für die Katz. Der Langstreckenläufer hieß nicht Zapotek, sondern Zatopek. „Emil Zatopek, die Lokomotive, Held von Helsinki“, werde ich aufgeklärt. Da hilft auch Kolasińskis Trost nicht weiter: „Mit Sprachen ist es wie mit einem Wald. Je tiefer man hineingeht, desto mehr Bäume.“

Kolasiński meint, uns eine Freude machen zu können, indem er eine neue Verbkonjugationsgruppe einführt. Ein echter Leckerbissen sei das, verspricht er. Polnisch, eine zusammengeklaute Sprache nämlich, habe ihre Anleihen auch im Romanischen. Alle Wörter, die bei uns auf -ieren enden, hätten in -ować (owatsch) ihr polnisches Pendant. Und los geht‘s: dyskutować-diskutieren, oferować-offerieren, atakować-attakieren, trenować- trainieren, szykanować-schikanieren, reagować, studiować, protestować, prostytuować … Wir sind nicht zu bremsen. Mit einem Schlag den Wortschatz erweitert. Dass die konjugierten Endungen ein großes Kauderwelsch sind, ist bei so viel Wahlverwandtschaft leicht zu akceptować.

„Sollen wir weitermachen mit Grammatik, oder wollen Sie lieber ein bisschen Vokabeln lernen wie „film, teatr, balet“, scherzt Kolasiński und tänzelt beschwingt durch den Raum. Weil die Frage gar keine war, präsentiert er uns den 5. Fall, den Instrumental. Das heißt so viel wie: die grammatische Ungereimtheit kann beginnen. To jest kelner – das ist ein Kellner. Aber: On jest kelnerem – er ist ein Kellner. Davon nächstes Mal mehr, verspricht Kolasiński.

Bleibt noch zu sagen, dass mein Schulfreund auch nicht da war. Ich bin allein bis zur Oranienburger Straße gegangen.

Fragen? polnisch@taz.de