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frankie goes to edmontonTrevor the Elephant und der spezielle WM-Charme

Warriors of the Wasteland

Manchmal, wenn uns ein bisschen langweilig ist hier im Commonwealth Stadium zu Edmonton, machen wir uns einen Spaß und durchforsten die Ergebnislisten, einfach so. Das vertreibt zum einen die Zeit bis zum nächsten Event und ist zum anderen sehr lehrreich, weil an so einer Weltmeisterschaft Länder teilnehmen, von denen wir nie zuvor im Leben etwas gehört haben; kleine Inselgruppen irgendwo im Pazifik zum Beispiel, die einen, höchsten zwei Athleten hierher geschickt haben. So klein und unbekannt sind diese Länder manchmal, dass man sich einer extra ausgelegten Liste bedienen muss, um die Nationenabkürzungen, die hinter den Namen vermerkt sind, entschlüsseln zu können.

KIR beispielsweise steht für Kiribati und hat genau eine Athletin am Start, mit ihrer Bestzeit von 29,1 Sekunden über 200 Meter wird Kaitinano Mwemweata aber kaum eine Rolle spielen gegen Marion Jones und Konsorten. Nicht viel besser erging es auch Valma Bass aus SKN (steht für Saint Kitts & Nevis): Am Sonntag über die 100 Meter ist Frau Bass in der ersten Runde ausgeschieden, mit 11,89 Sekunden hat sie sogar ihre eigene Bestzeit gleich um fünf Zehntel verfehlt, was in ihrer Heimat bestimmt als große Enttäuschung empfunden wurde.

Denn man muss sich das ja so vorstellen: Dass all die Exoten, die diese WM so bunt und liebenswert machen, zu Hause in ihrer kleinen Heimat große Stars sind, schließlich sind sie ja die Besten ihres Landes. Und automatisch erinnert das an die Geschichte von Jamaika und den vier Burschen, die auszogen, um bei Olympia mit einem Bob die Eisröhre hinunterzudonnern, Walt Disney hat das sogar verfilmt. Das hat die Burschen ziemlich bekannt gemacht, weltweit. Und auch Eddie the Eagle, der Möchtegern-Skispringer aus Großbritannien, oder Eric Moussambani, Nichtschwimmer aus Äquatorial Guinea und bei Olympia in Sydney berühmt geworden als Eric the Eel, haben ihre Prominenz dadurch erreicht, dass sie die Sportart, der sie sich verschrieben hatten, ganz besonders gut nicht konnten.

Auch in Edmonton haben wir jetzt so einen entdeckt, einer, der noch schlechter ist als die Schlechtesten. Aber seine Geschichte ist gut, verdammt gut. Und sie geht so: Trevor Misapeka stammt aus Amerikanisch-Samoa und war eigentlich nach Edmonton gekommen, um sich mit den Besten der Welt im Kugelstoßen zu messen, was eine gute Sache ist für einen Mann mit knapp 150 Kilogramm Lebendgewicht. Das dumme an der guten Sache war nur, dass Misapeka keine Qualifikationsweite vorzuweisen hatte – und somit nicht zum Wettkampf zugelassen wurde. Also sattelte das Schwergewicht um und entschied sich – zu laufen. In den Laufdisziplinen nämlich ist es jeder Mitgliedsnation vergönnt, einen Starter pro Disziplin zu melden, ganz egal, ob der zuvor jemals über die jeweilige Distanz gestartet ist.

Trevor Misapeka ist noch nie zuvor 100 Meter an einem Stück gerannt, jedenfalls nicht sonderlich schnell. Dass er es nun ausgerechnet in Edmonton erstmals tat, hat auch mit seiner Schwester Lisa zu tun. Die ist, was Trevor noch einmaliger macht, eine Weltklasse-Hammerwerferin und gewann vor zwei Jahren bei der WM in Sevilla sogar Bronze – und sie kannte die Freistartregel für die Laufstrecken. Also hat Trevor, der bis dato noch nicht einmal wusste, ob der Starter eine Startpistole haben oder nur einfach „Auf die Plätze, fertig, los“ sagen würde, gemeldet; wie man 150 Kilo fachgerecht in einen Startblock quetscht, hat er sich rechtzeitig einen Tag vor seinem Big Race von einem Hürdenläufer erklären lassen. „Ich wollte nicht, dass es mich schon beim Start auf die Schnauze legt, sondern ich wollte ins Ziel kommen“, sagt Trevor.

Trevor Misapeka ist ins Ziel gekommen, 14,28 Sekunden hat er dafür gebraucht, was bei den Bundesjugendspielen noch nicht einmal für eine Siegerurkunde reichen würde. Aber darauf kommt es in diesem Fall auch nicht an, schon gar nicht den Medien. Die haben Trevor gleich in ihr Herz geschlossen und ihm Namen gegeben wie einst Eddie und Eric. Trevor the Snail, Trevor the Turtle, Trevor the Elephant. Oder, wie der Kollege vom Edmonton Journal titelte: A Ton of Fun.

Fun hatte Trevor the Snailturtlelephant auf jeden Fall in Edmonton, von der nicht selten großmäuligen Konkurrenz gelernt hat er offenbar auch. Die Worte, die Trevor Misapeka nach dem Rennen sprach, waren jedenfalls schon ganz im Stile der Großen der Zunft: „Ich habe weit über 100 Pfund mehr als jeder dieser Kerle hier. Nehmt mir 100 Pfund, und wir werden sehen, wie das Rennen ausgeht.“ Maurice Greene sollte sich vorsehen. Wie leicht kann man von einer Spaßtonne überrollt werden. FRANK KETTERER

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