forschungsobjekte : Anthropologische Mondlandung
Mit großem Medienrummel hatten das in zahlreichen Sprachen erscheinende Magazin National Geographic und der Computergigant IBM ihr Fünfjahresvorhaben Genographic Project vor kurzem der Öffentlichkeit präsentiert. Die genetischen Informationen aus 100.000 Blutproben, freiwillig zur Verfügung gestellt von den noch existierenden indigenen Völkern aus aller Welt, sollten die weltgrößte DNA-Datenbank speisen. Das Projekt sei für die Anthropologen durchaus so bedeutsam wie die Mondlandung für die Weltraumforscher, hieß es bei der Verkündung des Vorhabens. Und genau hier liegt auch das eigentliche Problem verborgen. Welche Vorteile hatten denn die immer kleiner werdenden „Naturvölker“ von der Mondlandung. Ging es ihnen damit besser? Wurden ihre Lebensräume plötzlich besser geschützt? Nahm die Diskriminierung ab? – Mitnichten! Und auch von dem genografischen Forschungsprojekt werden sie vermutlich kaum profitieren können. Bleibt die Frage: Warum sollen sie sich daran überhaupt beteiligen, ihr Blut zu Verfügung stellen? Die Vergangenheit lehrt sie, argwöhnisch zu sein. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Forscher sich rücksichtslos über die Interessen und Rechte der Indigenen hinweggesetzt haben. Da landeten dann die aus der Wildnis mitgebrachten „seltenen Menschengene“ flugs beim Patentamt, ohne dass die zu Forschungsobjekten degradierten Mitmenschen überhaupt gefragt wurden. Und es gibt wahrlich keinen Grund zu glauben, dass diesmal alles anders sein wird.
WOLFGANG LÖHR