fest, habermas etc. : Gehässige Farce
Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat glaubwürdig versichert, dass er Joachim Fest darüber informierte, dass die Anekdote nicht stimmt. Fest hat sie dennoch in seine Erinnerungen aufgenommen und also wider besseres Wissen von einem als Jürgen Habermas identifizierbaren „Denker“ erzählt, der auf einer Geburtstagsparty einen Zettel verschluckt haben soll, den er als HJ-Mitglied geschrieben haben soll. Das Amtsgericht Hamburg hat die weitere Verbreitung dieser Behauptung unter Strafe gestellt. Und der Rowohlt Verlag hat gleich reagiert, indem er die Erinnerungen von heute an ohne den fraglichen Absatz ausliefert.
Ein Nachtreten unter erklärten Feinden – wie anders soll man Fests Anekdote werten?! Man staunt über so viel – übrigens unbürgerlichen! – Willen zur Gehässigkeit. Darüber hinaus gilt es aber auch, den Eindruck in Worte zu fassen, dass sich bei der Beschäftigung mit der Nazizeit ein Zug ins Alberne und ins Imaginierende offenbart. Gutheißen mag man den nicht. Aber registrieren sollte man diesen Zug schon.
Wer wen in die Nähe des Nazipols schob, war einer der zentralen symbolischen Kämpfe der Bundesrepublik. Fests Vorgehen zeigt an, dass da etwas zu Ende gegangen ist. Seine Anekdote wirkt wie ein farcenhaftes Echo auf diese Kämpfe: Seht, selbst ein Jürgen Habermas muss etwas zu verbergen haben! Das konnte nicht treffen. Zum einen war der tatsächliche Zettel – wie Fest wusste! – vollkommen harmlos. Zum Zweiten wirkt der heimlich zugrunde liegende Entlarvungsgestus mittlerweile unangemessen. Das Alberne liegt darin, noch zu meinen, irgendetwas Interessantes damit auszusagen, indem man solchen Jugendlichen, wie Habermas damals war, Verstrickung ins Regime nachweisen zu können glaubt. Ob und wie sie sich hinterher aus der Erfahrung, in einem totalitären Regime aufgewachsen zu sein, herausarbeiteten, das ist das Interessante – und dass er das tat, steht bei Habermas außer Frage.
Insofern kann man den Philosophen beruhigen. Der Gerichtsentscheid ist gut, denn er trägt zur Versachlichung bei. Habermas’ Bedeutung als kritischer Intellektueller war aber zu keinem Zeitpunkt der Zettel-Affäre überhaupt gefährdet. Vielleicht kann man das nächste Mal, wenn etwas aus der Jugend eines führenden Intellektuellen auftaucht, von vornherein etwas gelassener sein. DIRK KNIPPHALS