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Archiv-Artikel

fern vom zeus Das Ende der Magie

Einst waren da diese zickige Glitzerhose und Schwarzweiß-Bilder, die düstere Kargheit und bedrückende Authentizität ausstrahlten. Dann kam die Farbe

Das wissen die wenigsten: Ich bin ein waschechter Olympionike. Nicht einmal Mark Spitz, Jesse Owens oder Carl Lewis haben mehr abgeräumt als ich in meiner besten Zeit. Ja, Gold und Silber. Am roten Bändel, mit Wasserfarben schön gemalt und mit Filzstift beschriftet. In einer Schachtel finden sich all die Zeugnisse meines sportlichen Ruhmes. Spezialdisziplin war „Viermal um Beierles Wiese“ und der brutale Viertelmarathon bis zur „Kiesgrube und zurück“. Keine Chance für den Sportskameraden Günther, dem immer nur Silber blieb. Dafür war Günther in den technischen Disziplinen überlegen. Wiesenrekord im Hochsprung mit 1,28. Gold für ihn, Silber für mich. Immerhin.

Eine Zeit lang hat Erwin Proksch versucht mitzuhalten. Der hatte sich wegen Olympia sogar neue Puma-Latschen und eine zickig schimmernde Sporthose zugelegt. Deshalb hießen wir anderen knorrigen Athleten ihn schwul. Nach einmal „Kiesgrube und zurück“ hat er seine Glitzerhose wieder eingepackt.

Pflicht war das Studium der Olympiabücher. Die Spiele 1936 in Berlin, blauer Umschlag mit goldener Glocke: „Ich rufe die Jugend der Welt“ und Einklebebildchen in Schwarzweiß. Diese Badeanzüge! „Deutsche Mädels im olympischen Kampf“. Der Geruch, der uns aus den stockfleckigen Seiten entgegenschlug. Ägyptologen, die zum ersten Mal eine fünftausend Jahre alte Papyrusrolle in Händen halten, konnten nicht faszinierter sein. Los Angeles, Melbourne, Rom, Tokio. Und diese Namen: Jesse Owens und Wilma Rudolph. Abebe Bikila und Harald Norpoth.

Vor allem Norpoth. Mein Synonym für Olympia. Die ersten Bilder, an die ich mich erinnern kann: der gigantische 5.000-Meter Lauf von Norpoth gegen Bob Schul. Die Aschenbahn-Schlammschlacht im Regen von Tokio, die mit einer knappen Niederlage des ausgemergelten Deutschen endete. Düstere Schwarzweiß-Bilder, die durch ihre Kargheit eine bedrückende Authentizität ausstrahlten. Bilder wie aus einem militärischen Krisengebiet. Ich habe drei Nächte davon geträumt.

Das Ende der Magie begann mit München. Zu schön, zu bunt, zu stimmungsvoll. Die Tragödie von Füstenfeldbruck legte die olympische Illusion in Schutt und Asche, und das Vertrauen war dahin, obwohl die Bilder immer bunter und immer mehr wurden. Auch das Angebot wurde erweitert. Volleyball war ein dezentes Zugeständnis an moderne Sportarten. Mittlerweile ist Volleyball längst ein Klassiker und blickt mit fragwürdigem Stolz auf seinen Spross Beachvolleyball. Eine Leibesübung, die sich vom Muttersport durch einen Haufen Sand unterscheidet und dadurch, dass man sie offenbar nur in extrem gebräuntem Zustand ausführen darf. Es ist wie mit der Sporthose von Erwin Proksch. Glitzert und zickt nur herum. Nichts für mich. Keine Magie mehr und keine Möglichkeit, eigene Bilder zu erschaffen.

Die blauen Olympiabücher modern vor sich hin und auf Beierles Wiese hat Sportskamerad Günther ein Zweifamilienhaus gebaut, in dessen lächerlich gepflegtem Garten er sitzt und sein Übergewicht beklagt. Manchmal überlegt er, ob er seinem Sohn erzählen soll, wie er vor langer, langer Zeit den Wiesenrekord im Hochsprung auf 1 Meter 28 geschraubt hat. ALBERT HEFELE