piwik no script img

ex und pop (6): massenprofipauken

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Neulich kaufte ich zum ersten Mal eine Ausgabe der Wirtschaftswoche. Die Titelgeschichte wilderte in meinem Revier, schrillgelb gällte es vom Kiosk: „Rettet die Expo!“ Wie nicht anders zu erwarten, war der Adressat dieses Imperativs „die Wirtschaft“, die bereits maßgeblichen Anteil daran hat, dass die „Infotainment-Inszenierung“ im deutschen Pavillon „ein unverkrampft sympathisches Deutschlandbild transportiert“. Insgesamt aber sei die Expo eine „Blamage“. Der Himmel weiß warum, mir fielen in diesem Zusammenhang die Reaktionen aus der „Wirtschaft“ ein, wenn mal wieder unverkrampft begangene Überfälle auf ausländisch aussehende Ausländer eigentlich nur deswegen so übel sind, weil das Ausland darauf eventuell mit Antipathie reagieren könnte. Ungerecht und pauschalisierend sind solche Assoziationen, gewiss und hoffentlich, aber es sollte noch schlimmer kommen. In einem Interview zum Titelthema verlangt Bertelsmann-Sprecher Manfred Harnischfeger angesichts der niedrigen Besucherzahlen: „Es muss jetzt also Masse auf die Rampe. Die Expo sieht sehr gut aus bei 300.000 Besuchern, sie sieht gut aus bei 100.000 und schlecht bei 50.000 auf dem Gelände.“ Und schon saß ich in der Klemme: „Masse“ und „Rampe“ in einem so flott formulierten Befehlston, da macht mir allein schon die Ahnungslosigkeit des Sprechers und sämtlicher Korrektoren Angst. Beinahe, wenn auch trübe, Hoffnung verbreitend nach solchen Schrecksekunden die Bemerkung eines gewissen Volker Leichsering, Chef einer PR-Agentur in Zürich: „Bei einem schwachen Produkt gibt es nur zwei Alternativen: vom Markt nehmen oder klotzen.“ Vom Markt nehmen, das geht natürlich irgendwie nicht, denn die Chose soll ja nachhaltig sein im Sinne der Agenda 21, und nach der Nachhaltigkeit muss es ja auf jeden Fall weitergehen, ebenfalls irgendwie. Schön, dass die Überlegungen zur Nachnutzung vieler Gebäude auf dem Expo-Gelände durch die Kreativität und Phantasie unserer investitionshungrigen Wirtschaft längst weit gediehen sind. Was allein im sog. Plaza-Forum Platz finden soll: Eine Leibniz-Akademie, in der Mitarbeiter hannoverscher Unternehmen Multi-Media-Technologie „pauken“ (Bild), eine „Deutsche Event Akademie“, in der „modernste Licht- und Tontechnik“ entwickelt wird (Bild) und eine „Call Center Akademie“, in der „Telefonservice-Profis ausgebildet“ werden. Na, wenn’s schon Profis sind, warum müssen sie dann noch ausgebildet werden? Das wird mutmaßlich ein Geheimnis der Bild-Zeitung bleiben. Wie auch kaum eine Antwort auf die Frage zu finden sein dürfte, warum ein Chor des Christlichen Vereins Junger Menschen – kurz YMCA – bei seinem Auftritt im Christen-Pavillon den REM-Song „Losing My Religion“ singt. Das berichtete ein Freund unmittelbar nach der Niederlage Portugals gegen Frankreich (der Elfmeter!) und insofern sollte das vielleicht doch bloß eine Botschaft sein, die verblüffend einfach zu deuten ist: Wäre man zu allem Überfluss auch noch Christ, würde die Zahl der Anfechtungen ins Unermessliche steigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen