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ex und pop (17): westkaufwelten

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Homerisches Gelächter nannte man das früher ungefähr. Dabei hatte Harald Schmidt seine Bemerkung noch nicht einmal kommentiert. Sondern nur erzählt, dass Marc Wallert bei Kerner erzählt habe, sein sehnlichster Wunsch für wenn er wieder in Freiheit wäre, sei gewesen, die Expo zu besuchen. Dann dieses Lachen, dem genug Bosheit injiziert ist, um damit die Hölle zu beschallen.

Und als ich neulich entdeckte, dass Libyen heute seinen Nationentag feiert, wollte ich die Kolumne mit dem Vorschlag füttern, die Familie Wallert könne doch am besten genau an diesem Tag die Expo besuchen, um sich an geeigneter Stelle für die Freilassung zu bedanken. Und welch hoher Besuch wurde unmittelbar darauf für heute angekündigt? Genau. So pfuschen sie einem in die Arbeit rein. Trotzdem bleibt es dabei, dass irgendwer den Müll runterbringen muss. Und wenn ausgerechnet der dann beim In-die-Tonne-Kippen etwas findet, das des Aufhebens wert ist, dann ist das doch, wie soll ich sagen? Toll. Um aus dem Bild zu steigen, bevor die Schieflage zu bedrohlich wird, hier die gute Nachricht in einfachen Worten:

Was der indische Szenograf Rajeev Sethi für die Ausstellung „Basic Needs“ im sog. Themenpark zusammengestellt hat, ist ganz wunderbar. Empfangen werden die Passanten von einem Supermarkt namens Hi Life, der die Quintessenz aller Wal-Mart- und Realkaufwelten ist. Im Beiheft „symbolisiert“ er natürlich „die westliche Überflussgesellschaft“, aber er ist viel, viel besser. Der Gedanke, das solle konsumkritisch sein oder dergleichen, der bleibt wohltuend lange hinter dem Spaß verborgen, den das Begehen dieser Installation macht. Und wenn einen Raum später der eigentliche Parcours durch die Abteilungen beginnt, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da in der Luft hängt in einer Karre die Puppe eines greinenden Babys mit übergroßem Kopf und zwei Meter entfernt schräg über ihm ein machtlos brüllender Alter in seinem Rollstuhl.

Oder man begegnet der Geschichte einer 95-jährigen Kurzwarenhändlerin aus dem 14. Arrondissement in Paris, die abends nach Geschäftsschluss auf ihrem Notebook die Buchhaltung macht. An zahllosen Szenarien schlendert man vorüber, bleibt verschont von aufdringlichem Computergedaddel, begegnet stattdessen Krimskrams sondergleichen, das nie ein Kuddelmuddel ist. Selbstverständlich lauert hier und da ein pädagogischer Anspruch, aber den zu ignorieren fällt nicht schwer.

Kurz: Wer es nicht vermeiden kann, die Expo zu besuchen, sollte sich Basic Needs und gleich noch die von dem katalanischen Künstler Antoni Miralda entworfene Ausstellung zum Thema „Ernährung“ ankucken. Die ist nämlich auch gut. Alles in allem dennoch bloß „Ergebniskosmetik“, um einen Begriff aus dem olympischen Sportreporterdeutsch zu verwenden, denn dass, wenn man ein viertel Dutzend Milliarden ausgibt, hier und da was Erträgliches herauskommt, ist geradezu unvermeidlich. Der Betrag auf der Hi-Life-Supermarktkasse lautet übrigens 99,99.

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