europa, debatte etc. : Europa im Minutentakt
„Europa eine Seele geben“ – das war der Titel einer Mega-Konferenz, die letztes Wochenendes am Brandenburger Tor, genauer: im Atrium der Dresdner Bank stattfand. Alles, was in irgendeiner Weise im Europa-Geschäft entscheidungsbefugt ist, lief auf: Richard von Weizsäcker und der Präsident des Bundestages, Norbert Lammert, eröffneten, José Manuel Barroso hielt eine 15-minütige Rede, darauf folgten an nur einem Tag 19 „Beiträge“ und 21 „Kurzbeiträge“. Die letzten Redner hatten genau zwei Minuten für ihre Statements – zu was noch mal? Die Vermenschlichung von Europa, richtig. Und das Anliegen der Veranstalter, also der „Berliner Konferenz“? „Die weitere Entwicklung Europas aus der Kraft seiner Kultur zu fordern“.
Der Hintergrund für solche so teuren wie sinnentleerten Versammlungen ist klar: Die Verfassung von Europa muss demnächst erneut ratifiziert werden. Die Inbetriebnahme von Kultur soll eine Brücke schlagen von der Brüsseler Politikbürokratie zu „den Menschen“, soll Identifikation mit einem politischen Projekt ermöglichen, das weit über die Staatsgrenzen hinaus und in die eigene Arbeitswelt hineinreicht. Was aber ist mit „Kultur“ gemeint? Für Barroso bedeutete Kulturarbeit, eine Wertegemeinschaft zu bilden, welche die Presse-, Rede- und Religionsfreiheit sichert. Simonetta Carbonaro vom European Cultural Parliament betonte, dass Kultur nicht identisch sei mit Kunst. Kultur sei viel mehr, etwa die Lust am Konsum. Diese gelte es zu fördern, wolle man Europa ökonomisch fit machen. Sie erntete Applaus.
Vereinzelt gab es auch vernünftige Statements. Der Leiter des DAAD, Christian Bode, etwa forderte zu begreifen, dass eine europäische Öffentlichkeit Mehrsprachigkeit verlangt. Bis zum Alter von zehn Jahren sollten alle Kinder Englisch können – und dann anfangen, weitere Fremdsprachen zu lernen. Thomas Krüger, seines Zeichens Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, wies sich gewohnt charmant als ein um Effizienz bemühter Ex-Ossi aus, dessen Lebenszeit zu kurz ist, um sich durch den Antragsdschungel der EU zu wühlen. Europäisch muss man selbst werden, stellt er lapidar fest und umriss das von seiner Institution geförderte Projekt „Eurotopics“. Dieses wertet europaweit das Feuilleton aus und stellt eine Artikelauswahl nach dem Prinzip des Perlentauchers online zur Verfügung: www.eurotopics.net.
Gottfried Wagner schließlich, der Leiter der European Cultural Foundation, nutzte seine Redezeit, um die Konferenz zu kritisieren. Die hier betriebene Kommunikationsform verhindere, so erklärte er lächelnd, die einzig relevante Frage, nämlich nach den konkreten Arbeitsergebnissen der zahlreichen anwesenden Organisationen. Der Applaus fiel schütter aus. INES KAPPERT