esche auf dein haupt: Das Regenwunder
Mitte wird nass
Mitten auf dem Platz vor dem S-Bahnhof Hackescher Markt steht ein ausladender Eschenahornbaum. Ein unter seinen Ästen hindurcheilender Passant wischt sich etwas aus dem Nacken. Schaut auf seine Hand, sieht eine durchsichtige Flüssigkeit und riecht daran. Blickt irritiert in die dichte Baumkrone, durch die blauer Himmel und die Sonne blitzen. Eilt weiter.
Plötzlich regnet es wirklich. Ein richtiger Platzregen. Aber nur unter dem Baum. Ein paar Meter entfernt bleibt ein Mann stehen. Jetzt sprüht der Ahorn aus Leibeskräften. Wie eine Gartensprenganlage. Der Wind weht die Tropfen in Richtung des Mannes, der sich ins Trockene rettet. Dann ist es wieder vorbei. Der Baum tröpfelt – kaum noch merklich für die Passanten.
Ab und zu steuert jemand zielsicher auf den Eschenahornbaum zu und starrt in die Höhe. Ein Fahrradfahrer hält an, stellt sein Bike ab, umrundet forschend das seltsame Gehölz. Auch eine ätere Dame bleibt stehen: „Ist das der Baum, der regnet?“ Ein Mann zeigt auf eine vermeintliche Wasserleitung, die fast unsichtbar an einem Ast entlangläuft. Der Kellner eines benachbarten Restaurants klopft gegen den Stamm, um ihn als hohl und künstlich zu entlarven – Fehlanzeige.
Was tut der Baum? Weint er? Oder will er entzücken? Darauf gibt auch Iepe Rubingh keine eindeutige Antwort. Der holländische Künstler hat sich des Wunderbaumes praktisch angenommen und versucht dessen Wirken zu interpretieren. „Vielleicht ist er ein Hoffnungsträger“, überlegt Rubingh. „Vielleicht will er aber auch ein Zeichen setzen. Sagen, dass die Natur sauer ist. Die Menschen sorgen dafür, dass sich das Klima erwärmt. Die Bäume schwitzen das Wasser, das sie aus der Erde ziehen, sofort wieder aus. Vielleicht möchte er aufzeigen, dass ein Hochwasser auch in Berlin möglich ist.“
Mag sein, dass der Eschenahornbaum einfach nur Aufmerksamkeit auf sich lenken will. Nachdem alle nur Augen für ihren Milchkaffee oder eines der vielen hippen Geschäfte haben, die sich an diesem Ort tummeln, der Rubinghs Ansicht nach „verloren gegangen ist“. Der Platz quelle über von mehr oder weniger orientierungslosen Touristen, die die Cafés auf dem gepflasterten Areal bevölkerten. Die Pflastersteine sind das Ergebnis der städtebaulichen Verschönerung, der die einstige Wiese weichen musste. Nur die Bäume durften bleiben.
Andererseits, so Rubingh, könne der Hackesche Markt zumindest für die Berliner nicht verloren gehen, da er wichtige S- und Straßenbahnlinien sowie Busse miteinander verbinde.
Aber warum regnet gerade der Eschenahornbaum am Hackeschen Markt? „Das Wunder hätte genauso gut vor dem Kanzleramt oder in Stoibers Garten geschehen können“, weiß Rubingh. Da hätten es aber nicht so viele Menschen zu sehen bekommen. „Das Wunder lässt sich nicht steuern“, erläutert der Künstler.
Steuern lässt sich jedoch die Digitalkamera, die das Wunder in Aktion auch im Internet präsentiert. Spätestens ab Freitag kann man den Baum auf http://wunder.iepe.net noch bis Ende September Wasser lassen sehen. JOT
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