es bleibt ja kompliziert #7: Saunawahlkampf
Der Schweiß steht mir auf der Stirn. Und das nicht nur, weil der Aufguss kurz bevorsteht. Grund dafür sind die Gesprächsfetzen, die durch das Stimmenwirrwarr zu mir vordringen. Links, rechts, über oder in der Reihe unter mir, bei welcher Gruppe es um das Thema „Ausländer“ und „Abschiebungen“ geht, kann ich aufgrund meiner Kurzsichtigkeit so schnell nicht ausmachen. „Will ich mir meine Stimmung jetzt wirklich durch Vorurteile vermiesen lassen?“, frage ich mich und versuche den Gedanken, warum sich diese Szene ausgerechnet in Brandenburg abspielt, so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Ich lenke mich mit der Frage ab, was wohl der angekündigte „Überraschungsaufguss“ sein wird, der jeden Moment beginnen muss.
Plötzlich schrecke ich hoch. Aus der Boombox brüllt eine mir unbekannte Stimme mantraartig „Welcome to Valhalla!“. Der Saunameister trägt ein dunkles Fell um die Schultern gelegt. Als er näherkommt nehme ich seine martialisch anmutenden Tätowierungen wahr. Und auch wenn ich im aufziehenden Dunst keine Hörner ausmachen kann, muss ich unweigerlich an den „QAnon-Schamanen“ vom Sturm auf das Kapitol denken. In bester Bierzeltstimmung beginnen einige meiner nackten Sitznachbar:innen, frenetisch im Takt zu klatschen. Spätestens als der Zeremonienmeister zum Abschluss einen Eimer Eis über seinem Kopf entleert, kennt die Menge kein Halten mehr.
Einen Tag später wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Jede fünfte Stimme geht an eine extrem rechte Partei. In Brandenburg jede dritte. Das wird mich nicht davon abhalten, weiterhin in die Sauna zu gehen. Doch ist da seitdem eine diffuse Skepsis, sobald ich an einem öffentlichen Ort auf mehr als vier Menschen treffe. In Brandenburg sogar, wenn ich in Begleitung nur auf eine andere treffe.
Joel Schmidt
Hier schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über das Weitermachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen