es bleibt ja kompliziert #1: Widerständen trotzen
Statt Politologie könnte ich auch Jura studieren. Um ein lukrativeres Fach zu wählen, um etwas „Anständiges“, etwas „Richtiges“ zu machen. So würde es mein Großvater formulieren. Nicht nur bei ihm stieß meine Studienwahl auf Skepsis. Phrasen und Klischees wie: „Was willst du denn damit machen?“, „Wie willst du Geld verdienen?“, oder: „Willst du etwa Politikerin werden?“ überfluteten mich. Besonders laut wurden Stimmen älterer Personen aus dem Familien- oder Bekanntenkreis, die mir mit ihrem angeblichen Reichtum an Lebenserfahrung und ihrer Weltgewandtheit verdeutlichen wollten, welch belanglose Studienwahl ich doch getroffen hätte und welch ungewissen Ausbildungsweg ich dadurch einschlagen würde. Irgendwann kommt sie gewiss zur Vernunft, hieß es. Doch trotz anfänglichen Zweifels und mir entgegengebrachten Argwohns, blieb ich bei meiner Wahl. Ich machte weiter. Ich blieb dran. Ungeachtet aller Gegenstimmen, sich Querstellenden. Oder vielleicht sogar: gerade wegen ihnen.
Angesichts der bevorstehenden Wahlen und aktuellen Umfrageergebnisse mögen sich viele in einem Gefühl der Resignation wiegen. Weiterzumachen, sich gegen Widerstände zu behaupten, kann Überforderungen auslösen und anstrengend sein. Weitermachen bedeutet keineswegs, dass es einfacher wird. Lohnt es sich? Ohne ein Weitermachen würde ich jetzt nicht hier sitzen, im 6. Stock des taz-Hauses, und diesen Text schreiben. Dann hätte ich, wenn es nach meinem Großvater ginge, eine Lehre als Bankkauffrau absolviert und würde souverän zwischen Papierstapeln und Exceltabellen mit Zahlen jonglieren und Kunden mit einem Lächeln die Risiken und Dienste eines Renditeglücks erklären. Aber ich bin eben politisch – deshalb weitermachen. Wilma Johannssen
Wilma Johannssen, Jahrgang 2005, studiert Politikwissenschaften an der Universität Wien und ist taz lab Redakteurin.
Hier schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über das weiter/machen.
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