erledigte fälle: sat.1 : Das Wunder von Zürich
So was wie Harald Schmidt wird es nie wieder geben. Aus Sat.1 wird jetzt ein Sender, für den man sich nicht mehr sonderlich zu interessieren braucht. Ein Nachruf.
Eigentlich könnte man ja sagen: Wie schön, dass so grundsolide Werte wie Rache, Neid und Missgunst in der schnöden Welt der Wirtschaft noch zählen.
Denn nur so ist zu erklären, warum bei Sat.1 der beliebte, erfolgreiche und immer etwas hektische Senderchef Martin Hoffmann in die Wüste geschickt wird. Wer hat also gewonnen? – Die Schweizer! ProSiebenSat.1-Chef Urs Rohner (Zürich) hievt seinen Eidgenossen Roger Schawinski, einst Betreiber des alpinen Piratensenders Radio 24, an die Senderspitze. Offizielle Begründung: „Das unternehmerische Tempo“ bei Sat.1 soll sich beschleunigen.
Komisch – genau das hat Hoffmann doch geschafft. Inoffiziell hat Rohner Hoffmann zuletzt gehasst, ganz alttestamentarisch. Weil der erfolgreich war in der Fernsehwelt: Wie der gelernte Jurist Hoffmann mit Harald Schmidt vor den Werbekunden rumalberte – sendefähig war das. Anschließend stieg der dröge Anwalt Rohner für ProSieben in die Bütt. Ach herrje. Die Blicke der beiden sprachen Bände. Jetzt hat Rohner dem neuen AG-Besitzer aus USA, Haim Saban, offenbar erfolgreich ein Ohr abgekaut.
Aus Sat.1 wird ein Sender, für den man sich nicht mehr sonderlich zu interessieren braucht. Dabei war das Programm immer viel besser als sein Ruf. Nicht erst seit dem guten und erfolgreichen „Wunder von Lengede“. Auch wenn man Gerichtsshows à la „Barbara Salesch“ oder privatdetektivisches Rumgealber wie „Lenßen und Partner“ nicht mag – der Sender hat eigene Trends im deutschen Fernsehen gesetzt, auch und vor allem bei der Comedy. Weiter TV-Movies produziert trotz Werbekrise. Manchmal mit einer fast öffentlich-rechtlichen Verve, dass sogar Grimme-Preise abfielen. Serien neu erfunden wie „Edel und Starck“. Und immer wieder Fernsehen ausprobiert, auch wenn’s mal floppte wie Jürgen von der Lippes Labershow „Blind Dinner“.
Den Versuch, in einer halbwegs ernsthaften Krankenhausserie das Thema psychisch kranker Menschen aufzugreifen, trauten sich nicht etwa ARD und ZDF. Sondern „Die Anstalt“ auf Sat.1.
RTL, der andere große Privatsender, wagt derweil gar nichts, kauft so ziemlich alle seine Erfolgsformate („Wer wird Millionär“, „Deutschland sucht den Superstar“) im Ausland und ist zur Strafe sterbenslangweilig.
Sonst noch was? Ach so: Unvorstellbar, dass das „neue“ Sat.1 einer Sendung noch mal so viel Zeit zur Eintwicklung lässt. So viele Freiräume toleriert, klassische Dichter, Bowling auf Redaktionsfluren und Schwarzblenden erträgt. Müssen wir deutlicher werden? Gut: So etwas wie Harald Schmidt wird es nie wieder geben. STEFFEN GRIMBERG