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Archiv-Artikel

elsa w., 58 Leben mit dem Hartz-Infarkt„Arm geworden“

Vor fünf Jahren stellte die Hartz-Kommission ihre Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes vor. Für viele Betroffene war besonders das Arbeitslosengeld II ein Affront. Wie sieht die Bilanz heute aus? Die taz sprach mit fünf Hartz-IV-Empfängern

„Die Berater in den Jobcentern sind sehr freundlich. Das Problem ist nur, dass sie keine Ahnung haben. In meinem letzten Bescheid erhielt ich eine Rückforderung vom Arbeitsamt, da ich eine Stromrückzahlung erhalten hatte. Der Betrag stimmte aber absolut nicht mit dem der Rückzahlung überein. Als ich mich erkundigen wollte, war der zuständige Berater nicht da, seine Kollegen konnten mir auch nicht weiterhelfen.

In meinem Alter ist es schwierig, vermittelt zu werden. Ich bin Soziologin und habe in der Jugend- und Erwachsenenbildung gearbeitet. Für diesen Bereich bin ich zu alt. Vom Arbeitsamt bekomme ich nur 1-Euro-Jobs angeboten, daher bewerbe ich mich aus Eigeninitiative. Bisher waren aber nur zeitlich befristete Stellen dabei.

Da ich mehrere Jahre gearbeitet habe, kann ich momentan noch zusätzlich von meinem Ersparten leben. Dennoch: Mit Hartz IV bin ich arm geworden. Das eigentliche Problem ist gar nicht unbedingt der geringe Fördersatz, sondern die gesellschaftliche Ausgrenzung. Ich habe zu vielen Freunden den Kontakt verloren, da ich am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen kann. Wenn ich Bekannte einladen will, kann ich nur Tee anbieten. Das ist unangenehm.“

PROTOKOLL: JENNY BOHSE

Elsa W. ist Soziologin und bekommt seit zwei Jahren Hartz IV

frank h., 40

„Sinnlose Jobs“

„Ich habe zwar schon den Eindruck, dass der Umgang mit den Hartz-IV-Empfängern in Berlin sensibler und weniger dreist ist. Aber es werden immer noch Leute zu Jobs gezwungen, die unwirtschaftlich und sinnlos sind. Man sollte das ganze System auf Freiwilligkeit umstellen.

Auch wenn ich eine Routine bei Behördengängen entwickelt habe, ist man der Willkür des Sachbearbeiters und der aktuellen Stimmung in der Arbeitsagentur ausgeliefert. Und: Die Regelsätze sind einfach zu niedrig. Wenn man merkt, dass das Geld zu Ende ist, aber der Monat noch nicht, ist das ein sehr unangenehmes Gefühl.

Leider gibt es eine große Ignoranz für die Probleme Arbeitsloser. Hartz IV sieht etwa vor, dass man sich für außerordentliche Ausgaben ein Sparguthaben vom Regelsatz aufheben soll. Aber das ist unrealistisch – es bleibt nichts übrig. Mein uralter Kühlschrank verbraucht zwar unnötig viel Strom, aber ich kann mir keinen neuen leisten. Ich habe mir schon vor Jahren ausgerechnet, dass es günstiger ist, Wasser mit dem Wasserkocher statt auf dem Herd zu erhitzen. Das spart im Monat 20 Cent. Doch in meinem Leben mit Hartz IV sind alle Einsparpotenziale ausgereizt.“

PROTOKOLL: JESSICA SCHOBER

Frank H. arbeitete in einer Beratungsstelle und versucht seit 2005, von Hartz IV zu leben

anne müller, 27

„Nur herumgeschoben“

„Es ist sehr kompliziert, Hartz IV zu beantragen, weil man immer wieder von einer Stelle zur nächsten geschickt wird. Ich habe nach meinem Anerkennungsjahr als Sozialpädagogin für Mai Hartz IV beantragt und zwei Absagen und eine Zusage von unterschiedlichen Sachbearbeitern bekommen. Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter blockieren sich gegenseitig.

Man bekommt das Gefühl, nur herumgeschoben zu werden, weil man jedem neuen Sachbearbeiter seine Geschichte immer wieder von vorne erzählen muss. Es wäre praktischer, wenn man nur einen persönlichen Ansprechpartner hätte, den man auch mal telefonisch erreichen könnte. Insgesamt hat das Procedere jetzt drei Monate gedauert, und ich weiß bis heute nicht, ob ich das Geld noch bekomme.“

PROTOKOLL: JESSICA SCHOBER

Anne Müller ist Diplomsozialpädagogin und wollte für einen Monat Hartz IV beantragen

ralf engelke, 43

„Mitarbeiter sind heillos überfordert“

„Ich sollte vergangene Woche zu einer Profiling-Maßnahme vom Jobcenter eingeladen werden, habe die Einladung aber erst am Samstag erhalten. Wie kann es sein, dass so etwas passiert? Meiner Ansicht nach sind die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen heillos überfordert. Mir werden ständig neue Berater vorgesetzt, sodass ich mich immer umstellen muss.

Seit ich arbeitslos bin, engagiere ich mich in sozialen Bewegungen. Die gesellschaftspolitische Arbeit hilft mir, nicht abzustürzen. Armut ist schleichend. Das sehe ich an meinen verbrauchten Kleidern. Ich habe nicht mal das Geld, zur Beerdigung meines Vaters zu fahren. Zum Zeitunglesen gehe ich in die Bibliothek oder bestelle ein Abo auf der Straße. Da bekomme ich wenigstens noch meinen Kulturanteil dazu: zwei Kinogutscheine.“ PROTOKOLL: JENNY BOHSE

Ralf Engelke ist chemisch-technischer Assistent und seit 2001 arbeitslos

christian schmidt, 27

„Drei Monate für Schuhe gespart“

„Ich komme mit dem Regelsatz von 347 Euro im Monat überhaupt nicht aus. Normalerweise ist das Geld nach 14 Tagen weg. Dann gehe ich manchmal zum Essen in die Armenküche in Friedrichshain. Ich habe mich auch sehr mit dem Rauchen eingeschränkt, um Geld zu sparen. Mich frustriert das.

Gerade habe ich mir ein Paar neue Schuhe gekauft, auf die ich drei Monate lang sparen musste. Es sollte mehr Geld für bestimmte Zwecke zur Verfügung gestellt werden, etwa Kleidergeld.

Von manchen Sachbearbeitern wird man herablassend behandelt, als ob man selbst schuld an seiner Arbeitslosigkeit wäre. Dabei wurde ich nach meiner Ausbildung nicht übernommen. Normalerweise werden die Fälle zügig bearbeitet, aber bei meiner Mutter, die auch Hartz IV kriegt, waren plötzlich Akten verschwunden. Sie hat drei Monate lang kein Geld gesehen“.

PROTOKOLL: JESSICA SCHOBER

Christian Schmidt ist Glasgebäudereiniger und bezieht seit einem Jahr Hartz IV