einwanderer : Keine Lobby bei Schwarz-Grün
Sollte es eines Tages einmal eine schwarz-grüne Koalition geben, wird man vielleicht auf den 17. Juni 2004 zurückblicken und sagen: Das war der Tag, an dem ihr Grundstein gelegt wurde. Schon ohne formales Bündnis und ohne Zwang zum Kompromiss haben Grüne und Union auf einem Feld, das beiden Parteien besonders wichtig war, den kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden: in der lange umstrittenen Einwanderungspolitik.
KOMMENTARVON LUKAS WALLRAFF
Das so genannte Zuwanderungsgesetz, das jetzt beschlossen wird, hat mit den ursprünglichen Zielen des rot-grünen Reformprojekts nichts mehr zu tun. Das Signal einer Öffnung ist längst verpufft. Wer nach dem gerade noch vertretbaren Überschriften-Kompromiss im Kanzleramt vom Mai weitere Verschärfungen prophezeite, kann sich bestätigt fühlen.
Die jetzt noch eingefügten Sanktionen, mit denen Migranten zur „Integration“ gezwungen werden sollen, sind der Schlusspunkt einer traurigen Entwicklung, die vor zwei Jahren begann, als Rot-Grün im Bundestagswahlkampf für das Gesetz unter der Überschrift „Begrenzung“ warb. Da helfen auch die Verbesserungen im humanitären Bereich wenig: Die meisten folgen lediglich Vorgaben der EU.
Innenminister Otto Schily könnte dennoch Recht behalten, wenn er von einer „historischen Wende in Deutschland“ spricht. Denn der Gesetzentwurf ist das Ergebnis einer neuen taktischen Abwägung. Die Beteiligten folgten nicht nur dem allgemeinen Reformdruck. Die Realos bei Union und Grünen wollen sich nebenbei neue Koalitionsoptionen erschließen – was dabei noch nicht passt, wird passend gemacht. Der Preis, den beide dafür zahlen, ist freilich unterschiedlich hoch. Die Union verzichtet nur auf eines: auf ihre Weigerung, Einwanderung als Faktum hinzunehmen. Für die Hardliner der Union ein schmerzhafter, rhetorisch nicht mehr rückholbarer Schritt – mehr aber nicht. Im Gegenzug erklären sich die Grünen bereit, Einwanderung unter Sicherheitsvorbehalt zu stellen, Ausweisungen zu erleichtern und Migranten mit der Androhung von Sanktionen zu begrüßen. Möglich wurde diese Einigung, weil die Betroffenen keine Lobby und keine (Wahl-) Stimmen haben. Mit ernsthaften Konsequenzen müssen die Grünen denn auch kaum rechnen. Die Richtung des Zuwanderungskonsenses war vor der Europawahl bekannt – Fischer & Co. haben anschließend das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren.