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Archiv-Artikel

eine stimme der korrektur: phantome und pharisäer

Wenig Konsequenz zeigten die Rechtschreibreformer bei der Umwandlung des Ph in ein F. Während Fantasie erlaubt ist, blieben PhilosophInnen und Phantome unangetastet. Dasselbe gilt auch für die Pharisäer, die wegen der biblischen Geschichtsumschreibung bis heute als Heuchler gelten.

Aber mit Pharisäern haben wir in der taz ohnehin selten zu tun, etwa fünfmal jährlich. Dabei waren sie so eine Art alte Sozialdemokratie, eine gemäßigte Massenpartei der Armen und Machtlosen im römisch besetzten Palästina, die gelegentlich kämpften, aber meistens glaubten, die Zeit sei nicht reif für bewaffneten Widerstand.

Wenn ich schon bei Verunglimpften bin: Noch seltener erscheinen die als Fanatiker herabgewürdigten Guerillakämpfer jener Zeit: die Zeloten, der radikale Flügel der Pharisäer. Zu ihnen gehörten die Dolchmänner, sicarii, die auch schon mal jüdische Kollaborateure umbrachten – was übrigens die Verleumdung des Judas als Verräter erklärt, dessen Beiname Iskariot (auch Ischariot) sich von sicarius ableitet.

Mit Sadduzäern dagegen musste sich seit Jahren keine KorrektorIn auseinander setzen. Und kaum jemand würde ihnen Böses zuschreiben. Dabei würden sich die Sadduzäer wirklich für schöne Gleichnisse über moderne Zeiten eignen: Schließlich waren sie im alten Palästina die konservative religiöse Partei der reichen Landbesitzer und Priesterfamilien – und, natürlich, Kollaborateure mit dem römischen Besatzerimperium.

Dagegen wurde in dieser Zeitung allein in diesem Jahr im Schnitt alle dreiundvierzig Stunden ein „Jesus“ – im Genitiv Jesu – produziert: ein Mensch, für den es bis heute keinen historisch tauglichen Beweis gibt. Nur weil die jüdische Menge es fordert, wird er ausgerechnet vom römischen Handlanger in Jerusalem, Pilatus, unter Entsetzen zur Kreuzigung freigegeben, während die Massen Freiheit für einen „Verbrecher“ verlangen: für Barabbas nämlich. (Auch wenn wir es anders sprechen: nur mit einem r, aber mit zwei b.)

Dieser Barabbas gehört wieder zu denen, die in der taz kaum erwähnt werden: Ganze fünf Mal seit 1988. In gewisser Hinsicht jedenfalls – denn Barabbas ist ein Beiname, der erste Name des Mannes lautete Jesus. Und dieser Jesus Barabbas war ziemlich sicher ein radikaler Pharisäer, ein Zelot, der mit „Reich Gottes“ etwas Ähnliches einforderte wie die Diktatur des Proletariats.

So betrachtet, hatte die Christenkirche, die sich mit Rom arrangierte, allen Grund, ihren Jesus von Jesus Barabbas abzuspalten und Ersteren zu einem dem Außerirdischen zugewandten Pazifisten zu erklären. Mit anderen Worten: zu einem Phantom. ROSEMARIE NÜNNING