ein sieg für die wahrheit von MICHAEL RINGEL :
Manche Auseinandersetzungen unter Journalisten sind so bizarr, dass man nach einer Weile nicht mehr weiß, wo der Feind steht. Das weiß ich allerdings sehr genau, als ich an einem schönen Sommermorgen des vergangenen Jahres aus dem Berliner U-Bahnhof Kochstraße komme, um wie gewohnt meinem Nine-to-five-Job bei der taz nachzugehen. Am Straßenrand sind zwei klobige Autos abgestellt, die für die Junge Freiheit werben. Gegen meine preußisch-protestantische Moral verstößt dabei besonders, dass die Fahrzeuge gesetzeswidrig in die falsche Fahrtrichtung geparkt sind. Wenn das Carl Schmitt wüsste. Aber wahrscheinlich kennen die Figuren, auf die ich gleich stoßen werde, den reaktionären Staatsrechtler gar nicht mehr, der als geistiger Übervater des Bremsspurblatts gilt.
Nur wenige Schritte weiter haben sich vor dem Eingang zum taz-Gebäude drei Herren und eine, nun ja, Dame postiert, die zum 20. Geburtstag der Jungen Freiheit Ausgaben an Passanten verteilen. Irgendwo muss Schluss sein mit der Pressefreiheit, sage ich mir und steuere auf einen der ausrasierten Nacken zu. Man kann so etwas wie die Junge Freiheit tolerieren, aber sie müssen einen nicht auch noch vor der Haustür belästigen. Mit den Worten „Weg mit dem Dreck“ rupfe ich einem der Agents provocateurs einen Stapel aus der Hand. Als die übrigen Gestalten hinzustürzen, kommt es zu einer schonungslosen Rangelei, die empfindsame Seelen noch in der Nacherzählung einer Ohnmacht nahebringen könnten. Weshalb an dieser Stelle zartbesaiteten Gemütern die schrecklichen Gewaltbegriffe „Schwitzkasten“ und „Pferdekuss“ lieber erspart bleiben sollen.
Die Salonfaschisten besitzen indes keine große Streetability und bemühen Vater Staat in den Ring. Die per Mobilfunkgerät herbeigerufenen Ordnungshüter nehmen meine Personalien und eine Anzeige auf, während die zitternden Denunzianten unzufrieden mit dem Einsatzverlauf in Richtung Springer Verlag abziehen, wo sie sicher gastlicher aufgenommen werden.
Wenig später teilt mir die Berliner Staatsanwaltschaft mit, dass ich der „gefährlichen Körperverletzung“ angeklagt werde. Der umfangreichen Akte nach muss ich die vier Dilettanten grün und blau geprügelt haben. Eine Einladung des Landeskriminalamtes, mich zu den Vorwürfen zu äußern, lehne ich freundlich ab. Die Junge Freiheit aber möchte mit einem Leitartikel über das „unklare Verhältnis der taz zur Gewalt“ einen Skandal herbeischreiben, nur beachtet niemand in der Öffentlichkeit die armen entrechteten Rechten.
Nun hat mich mein Anwalt darüber unterrichtet, dass das Verfahren nach Paragraf 153 Absatz 1 StPO eingestellt ist: keine Verhandlung, keine Anklage und keine Bestrafung. Ich würde es gern als Sieg der Wahrheit verbuchen, aber vermutlich haben die staatlichen Organe der Rechtspflege nur wieder ängstlich davor gezittert, gegen meinen gefürchteten Anwalt antreten zu müssen.
Was bleibt, ist ein Wunsch an die immer rührige Werbeabteilung der taz: Sie sollte im taz-Shop das passende Merchandising-Produkt zum Straßenkampf anbieten, einen Aufkleber mit dem Slogan: „Rudi-Dutschke-Straße: No-go-Area für Nazis“.