ein satz zum fetten:
von WIGLAF DROSTE
Wenn die Reporterstimme im Fußballfernsehen sich anhört, als sei sie aus Heribert Faßbender und Reinhold Beckmann zusammengeklebt worden, dann hören wir Wilfried Mohren. Von Faßbender hat Mohren das Ranzige, Altherrenhafte, von Beckmann das Nassforsche und Auftrumpfende. So spart Mohren seinem Arbeitgeber Geld: Obwohl er ganz allein ist, erzeugt er doppelten Schmerz. Zwischen den Ohren – da, wo es am meisten wehtut.
Man muss nicht einmal pingelig oder empfindlich sein, um sich von Wilfried Mohren belästigt zu fühlen; die Metaphern, die er auftischt, sind so besinnungslos zusammengegrapscht, dass auch Menschen noch zucken, die im Fernsehdienst längst resignativ ertaubt sind. Mohrens bislang größte Stunde schlug vorgestern, als er das EM-Halbfinalspiel Frankreich gegen Portugal kommentierte. Sagenhafte Details schwappten aus Mohren heraus; ohne ihn hätte ich nicht erfahren, dass die Frau des portugiesischen Trainers Französin ist und dass es nach dem Spiel vielleicht privat zu Reibereien kommen könne, a-ha-ha-ha-ha, denn Fußballnationalist wird man ja durch Geburt und nicht durch Verbissenheit.
Niederträchtigere Verbrechen als das, nicht den Schnabel zu halten, sind sicherlich denkbar; es gibt aber Situationen, in denen Mord und Totschlag weniger grausam erscheinen als die Sünden wider das Gebot des Schweigens. Einmal machte ich den Fehler, einen so genannten Berliner Literarischen Salon zu besuchen, weil ein Freund dort einen Auftritt hatte; während er schön und inniglich sang, ebbte der allgemeine Gargel keineswegs ab, und ein besonders plagetauglicher Mann pustete der Mitwelt beim Dröhnen unverdrossen seinen sauer eingelegten Heringsatem in die Gesichter. Die saure Woge enthielt aber auch einen Satz: „Die Frau beherrscht man nicht durch die Geißel der Pädagogik, sondern allein durch die Peitsche der Sexualität.“ So wie der Heringsmann ihn aussprach, war es ein Satz zum Fettdrucken. Oder, wie der Zeitungsprofi für Fettdrucken sagt: zum Fetten.
Seitdem weiß ich, wo die Fußballkommentatoren herkommen: aus Literarischen Salons. Wie anders wäre Gerd Rubenbauers verbalsexueller Übergriff Mitte Juni beim Spiel Deutschland gegen England zu erklären: „Aaah ... Deisler ... wie er sich in den Mann hineindreht...“? Jede Sekunde musste man damit rechnen, Rubenbauersche Körperflüssigkeit von innen gegen die Scheibe des Fernsehers klatschen zu hören und herunterlaufen zu sehen. Nach der Pause, in der Rubenbauer sich offenbar privat Erleichterung verschafft hatte, ging es dann etwas besser.
Nur literarisch kann man den zu fettenden Satz begreifen, den Mohren über den französischen Trainer mitzuteilen hatte: „Sein Vater ist während dieser EM verstorben. Das wird ihm die Freude über den möglichen Titelgewinn etwas versalzen.“ Das soll er sich mal merken, der Vater, dass es so nicht geht! Beim nächsten Mal wird nicht einfach gestorben, wenn EM ist! Sonst kommt Wilfried Mohren und bringt Metaphern: Der Tod ist eine versalzene Suppe aus Deutschland.
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