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editorialWer bist du?Wer bin ich?

Die interessantesten Bücher schildern die Schwierigkeiten, mit Herkunft und Identität umzugehen

Wer bist du? Diese Frage lässt sich im Fall des jungen Mannes, der uns von der ersten Seite dieser Beilage so offen entgegenblickt, konkret beantworten. Der Mann heißt Ahmed Almefalany, und er stammt aus Syrien. Vor dem Krieg dort flüchtete er mit seiner Familie. Über Tripolis und Zawiya gelangte er über das Mittelmeer nach Europa. Seine Foto wurde von der spanischen NGO Proactiva Open Arms verbeitet, nachdem sie 378 Flüchtende aus dem Mittelmeer gerettet hat, 20 Meilen von der libyschen Küste entfernt. Es zeigt eins der Gesichter, die einem im Zuge der gegenwärtigen Fluchts- und Migrationsbewegungen in den Medien erst entgegengespült werden, während die konkreten Personen dahinter weiter ihr Schicksal zu meistern versuchen.

Wer bist du – es gibt in Deutschland und Europa (wieder) viele Bestrebungen, diese Frage direkt an Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und Kultur zu koppeln, während viele Neuerscheinungen im literarischen Feld sich eher an die Offenheit im Blick des Mannes auf unserer ersten Seite halten, vorschnelle sowie von vornherein einordnende Antworten vermeiden und überhaupt eher die Schwierigkeiten, mit dieser Frage umzugehen, beschreiben. Der Schriftsteller Saša Stanišić etwa betreibt die Suche nach seiner Herkunft als vielschichtigen Prozess des Erzählens (S. 3 dieser Beilage), der französische Autor Philippe Lançon berichtet davon, wie er, der den Anschlag auf Charlie Hebdo schwer verletzt überlebte, sich im ­Schreiben erst allmählich wieder ein Gefühl für eine Kontinuität in seinem Leben erarbeiten musste (S. 4). Herausgekommen sind zwei der interessantesten literarischen Bücher dieses Frühjahrprogramms.

Wer bist du – auch bei der Sachbüchern spielt diese Frage eine große Rolle. Wie schnell man auf dem Holzweg landen kann, wenn man sich anmaßt, sie für viele Menschen gleichzeitig beantworten zu können, zeigt die aktuelle Studie von Felwine Sarr. Unbescheiden beansprucht er, stellvertretend für über 50 Nationen auf dem afrikanischen Kontinent zu sprechen: „Der afrikanische Mensch spürt, dass man ihn mit Haut und Haar unvermittelt in eine Weltordnung gestürzt hat“ (S. 9). „Der“ afrikanische Mensch – wer soll das sein? Die Philosophin Kate Manne untersucht dagegen die ­Rahmenbedingungen des Frauenhasses (S. 11). Konkrete Personen sind, vielleicht ist das ein roter Faden dieser Beilage, immer mehr und anderes als ihr Geschlecht oder ihre Herkunft. (drk)

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